Was Corona verändert III

Was Corona verändert III

Text: Anna-Lena Wenzel, Zeichnungen: Esther Ernst
Das Leben kehrt wieder in den öffentlichen Raum zurück, die eindrücklichen leeren Straßen haben sich wieder gefüllt ebenso wie die Grünanlagen, in denen es einigen mittlerweile zu voll ist. Menschen treffen sich wieder im Freien, gehen nicht nur Spazieren, sondern breiten Decken und Picknick aus. Es gibt erste Einladungen von Galerien und auch Museen wollen bald wieder öffnen. Man könnte meinen, es stellt sich wieder ein bisschen Normalität ein, doch ist gleichzeitig immer noch Ausnahmezustand. Ein Beispiel: Seit dem 22.4. dürfen in Berlin Geschäfte bis zu einer gewissen Größe wieder auf machen. Doch wie mühsam das Einkaufen ist, hab ich am Samstag drauf gemerkt: der Copy-Shop macht erst um zwölf auf, der Karstadt hat zwar geöffnet, doch drinnen wartet Sicherheitspersonal und es sieht irgendwie nicht einladend aus. Die Post ist weiterhin geschlossen, bei der nächsten geht die Schlange einmal durch das ganze Einkaufscenter, im Bioladen muss man warten, bis man eintreten darf, weil nur ein bestimmte Menge an Menschen im Laden sein darf, man muss die Hände desinfizieren und wird gebeten, einen Mundschutz zu tragen, während das Fachgeschäft, das ich noch aufsuchen wollte, leider noch nicht wieder geöffnet hat. Wird er überhaupt wieder öffnen?
Das Verhältnis zu geschlossenen Räumen hat sich verändert: es fühlt sich beklemmend an öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Einkaufen ist zur Pflichtübungen geworden. Wo es zu eng wird und man Menschen zu nahe zu kommen droht, steigt schnell die Anspannung: Körperkontakt ist potentiell gefährlich. Wie wird sich diese Vermeidungsstrategie langfristig auswirken? – das ist für mich eine offene Frage.

Gab es zu Anfang ein starkes Bedürfnis sich auszutauschen und Freunde und Bekannte zu befragen, wie sie mit der Situation umgehen, hat das Kommunikationsbedürfnis etwas nachgelassen. Doch drehen sich weiterhin alle Gespräche um die Corona-Krise und ihre Folgen, wobei die Angststarre mittlerweile einem Hinterfragen, Abwägen und Aufregen gewichen ist. Ich bin weiterhin viel damit beschäftigt die Dinge in Verhältnisse zueinander zu setzen. Wie aussagekräftig sind die Zahlen? In welchem Verhältnis stehen sie zu sonstigen Grippeerkrankungen oder -sterberaten? Welche Maßnahmen sind verhältnismäßig und welche nicht? Wer vertritt welche Interessen wenn Forderungen laut werden und Verbote durchgesetzt werden? Für welche Interessengruppen spricht niemand?

Ich finde es interessant wie unterschiedlich der Umgang ist: Es gibt diejenigen, die finden, es ist noch viel zu früh für Lockerungen, und die anderen, die alles für überzogen halten. Es gibt einige, die Angst um die Gesundheit ihrer Kinder haben, wenn Kitas und Schulen wieder öffnen, und andere, die am Rande ihrer Kapazitäten und Nerven sind, weil sie die Kinder parallel zu ihrer eigenen Arbeit betreuen müssen und nicht verstehen, warum die Einrichtungen noch so lange geschlossen sein sollen. Was ist wichtiger: Die Einhaltung des Kontaktverbots oder das Bedürfnis die Freundin in den Arm zu nehmen, weil das ihre psychische Gesundheit gerade erfordert?

In Gesprächen fallen immer wieder zwei Begriffe: Verantwortung und Respekt, denn beides ist grad gefragt. Es gilt Verantwortung für sich und seine Umwelt zu übernehmen, Abstand und Niesetiketten einzuhalten, Reisen, Verabredungen und Körperkontakte weiterhin zu vermeiden etc. Und es gilt das Verhalten der anderen zu respektieren, auch wenn es einem befremdlich erscheinen mag. Denn man weiß nicht, was die Gründe für das jeweilige Verhalten sind: Halten die Personen Abstand, um sich zu schützen, weil sie zu einer Risikogruppe gehören? Oder halten sie Abstand, weil sie andere nicht gefährden wollen? Geht es ihnen darum die empfohlenen Abstandsregelungen einhalten, weil sie das Gesetzt nicht verletzen wollen oder halten sie sie eventuell deswegen nicht mehr ein, weil sie schon an Corona erkrankt waren und nun immun sind?

Ich habe das Gefühl die Situation spitzt alles zu: Ob die Menschen gut damit klar kommen alleine zu sein oder es gewohnt sind, Unsicherheit und das Gefühl des Kontrollverlustes auszuhalten, oder ob sie am Rad drehen, weil sie das Mit-sich-Sein nur schwer aushalten und der (Familien-)Stress und existenzielle Sorgen ihnen arg zusetzen. Es gibt Menschen, deren Radius sich verkleinert – und weil sie keinen Austausch mehr haben, neigen sie noch stärker zu Verschwörungstheorien. Andere – wie ich – freuen sich, dass sie jetzt mehr Zeit für die eigene Arbeit haben, wobei ich sicherlich nicht so entspannt wäre, wenn ich nicht die 5000 € Soforthilfe bekommen hätte.

Corona hat dazu geführt, dass sich Dinge verändert haben – und darin stellt sich langsam eine Routine ein. Man geht abends nicht mehr raus um, um Kultur zu konsumieren und sich zu treffen, sondern streamt zu Hause online-Angebote und hält Zoom-Meetings ab. Es gibt jetzt nicht weniger viel zu tun.

Zeichnungen: gezeichnete Tage, täglich fortlaufend seit 2017, Tagebuchzeichnung, je 14,7 x 21 cm, Aquarell, Bleistift, Buntstift auf Papier
So, 04/26/2020 - 18:17
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