Spaces of Solidarity

Spaces of Solidarity

Text: Anna-Lena Wenzel, Fotos: Monika Keiler
Ein Kiosk zieht durch die Stadt und macht Station auf der Sonnenallee, auf dem Leopoldplatz, am Hauptbahnhof, auf dem Charité-Gelände und dem Molkenmarkt. Für ein paar Tage steht er im öffentlichen Raum, parkt auf der Straße oder dem Gehweg und öffnet tagsüber seine Fenster, um als Begegnungsort und Austauschforum, als Informationsplattform und Netzwerkangebot, als Versorgungsstation für Limonade und Waffeln zu fungieren. Neun Initiativen haben das Angebot des Forschungsprojektes Transforming Solidarities: Praktiken und Infrastrukturen in der Migrationsgesellschaft (2020-2024) angenommen, den Kiosk zu nutzen, um ihre Arbeit inklusive politischer Anliegen und Angeboten vorzustellen. Aus einem akademischen Zusammenschluss kommend, ist der Kiosk ein Praxis-Format, das den direkten Kontakt mit Akteur*innen und der Zivilgesellschaft sucht. Die Idee ist es, im öffentlichen Raum ein Nachdenken darüber anzuregen, was Solidarität heutzutage sein könnte – und damit ein Reallabor zu initiieren.

Der mobile Kiosk, entworfen von ConstructLab, besteht aus einer schlichten Metallkonstruktion, die sich am jeweiligen Standort entfalten lässt, das heißt, die Seiten öffnen sich, Stützen werden ausgeklappt und eine Balustrade wird nach oben gefahren, um als analoger Infoscreen genutzt zu werden. Initiativen wie Berlin Arrival Support, Bilgisaray, Gesundheitskollektiv Neukölln, Gorillas Workers Collective oder die Nachbarschaftsinitiative Habersaathstraße haben den Kiosk genutzt, um Informationen zur Verfügung zu stellen und Forderungen zu unterstreichen: „Wir sind Freiwillige, wir sind Pflegekräfte“, „Rekommunalisierung jetzt“, „Fill the Gap“ oder „Tausche Sorgen gegen Limo“ hieß es an den einzelnen Stationen – auf deutsch, englisch und arabisch. Direkte Ansprache, Mitmachspiele und Sitzgelegenheiten führten dazu, dass Begegnungen entstanden und Menschen ins Gespräch gekommen sind, die man sonst wohl nicht erreichen würde.

Die Auswahl der Initiativen basiert dabei auf den drei Themenkomplexen Arbeit, Wohnen, Gesundheit, die das Forschungsprojekt untersucht hat. Es sind Nachbarschaftsinitiativen wie Bilgisaray oder Stadt von unten dabei, die Beteiligungsformate entwickeln und nicht-kommerzielle Räume zur Verfügung stellen; es sind Projekte wie die Kumi* 13 und RuT Wohnen dabei, in denen alternative Wohnmodelle erprobt werden, und Gesundheitskollektive wie TransVer _ Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung, die die Defizite des bestehendes Gesundheitssystems kritisieren und mit konkreten Angeboten Lücken füllen. Vereinfacht gesagt, handelt es sich um Zusammenschlüsse, die gegen Vertreibung und Ausbeutung vorgehen, die kapitalistische Logiken und Konkurrenzdenken unterlaufen und damit Zukünfte schaffen.

Die Überführung des Praxis-Formats in die institutionellen Räume des Deutschen Architektur Zentrums (DAZ) ist Chance und Herausforderung zugleich. Muss man im öffentlichen Raum Genehmigungen einholen (was mitunter sehr mühsam sein kann) und auf diverse Unwägbarkeiten gefasst sein, gilt es in einem Ausstellungsraum institutionelle Logiken zu bedienen und einen Raum zu gestalten.
Der Vorteil ist die Übersicht, die sich ergibt, wenn sich nicht nur eine, sondern alle Initiativen vorstellen. Durch die kompakte Zusammenstellung von Informationen in Form sogenannter Mappings werden sie vergleichbar und übergeordnete Fragestellungen verhandelbar.
Die Herausforderung der Ausstellung Spaces of Solidarity besteht darin, die Energie der Straße (in einem Ausstellungstext „Stoff von unten“ genannt) in die institutionellen Räume zu übertragen. Wie lässt sich dieser Spagat (zwischen öffentlichen Raum und Institution, zwischen Anwohner*innen und Besucher*innen, zwischen vergangener Aktion und gegenwärtiger Präsentation) bewältigen? Der Kurator Moritz Ahlert und sein Team haben sich entschlossen, den Kiosk zentral im Raum zu platzieren und dann Stellwände in Form von Baustellenzäunen einzuziehen, auf denen die Initiativen einzeln vorgestellt werden – in Form eines Textes, Infografiken und Video-Interviews. Ergänzend hängen an den Wänden Fotos von Monika Keiler, die die einzelnen Stationen dokumentieren. Ziemlich viel Stoff also, der hier präsentiert wird, und es tut gut, zwischendurch kurz auf einem Hocker am Kiosk zu verschnaufen und die Gedanken zu sortieren.

Ein erster Gedanke knüpft an die Aussagen der Philosophin Rahel Jaeggi an. Sie spricht von unterschiedlichen Aggregatzuständen von Solidarität und findet damit einen passenden Ausdruck, um auf die Vielschichtigkeit des Begriffes und seines Transformationscharakters hinzuweisen. Kann man dennoch wiederkehrende Motive, Handlungen, Fragen bei den vorgestellten solidarischen Praxen ausmachen? Ja, zum Beispiel das Schaffen von gemeinsamem Räumen, Vernetzung, Austausch, Empowerment, (ehrenamtliches) Engagement. Neben dem Aufzeigen dieser verbindenden Elemente nutzt die Ausstellung die Chance, übergreifende Frage- und Problemstellungen zu beleuchten. Der selbstformulierte Anspruch, die Brüche und den Dissens ernst zu nehmen, wie es im Eingangstext heißt, wird damit Rechnung getragen. Das bedeutet konkret auf die Fallstricke der solidarischen Praxen hinzuweisen, die hier versammelt sind. Da ist zum Beispiel das Spannungsfeld, das entsteht, wenn sich eine Initiative zunehmend professionalisiert. Und plötzlich Stellen entstehen, wo vorher alle ehrenamtlich gearbeitet haben. Wer geht auf diesem Weg verloren, wer bleibt dabei? Dass mit der Initiative Stadt von Unten ein Beispiel vorgestellt wird, bei dem diese Prozesse zur Auflösung geführt haben, spricht für die Ausstellung. Eine weitere Frage lautet, inwieweit sich die Aktivitäten der Initiativen größer denken (skalieren) lassen. Kann man die aktivistischen und bottom-up Ansätze institutionalisieren und verstetigen oder liegt ihre Kraft gerade in ihrem „alternativ-sein“? Daran knüpft die Frage der Finanzierung an. Vorgestellt werden Projekte, die auf Spendenbasis aufbauen, um unabhängig zu bleiben, als auch solche, die öffentlich finanziert sind – was wiederum Fragen nach der Konkurrenz um Gelder aufwirft.

Konsequent wäre es gewesen, darüber hinaus Einblick in die Diskussionen und Dissense zu gewähren, die innerhalb des Forschungskonsortiums in Bezug auf den Kiosk und die Ausstellung aufgekommen sind. Allein das interdisziplinäre Forschungsprojekt setzt sich aus 22 Mitgliedern zusammen, die aus unterschiedlichen Fachbereichen und Universitäten kommen (Architektur, Gender Studies, Philosophie, transkulturelle Psychologie, Migrationsforschung etc.). Man kann sich vorstellen, dass des Öfteren über Begriffe und Haltungen diskutiert wurde. Hinzu kommen Absprachen mit den Initiativen, den beteiligten Studierenden und den projektbezogenen Mitarbeiter*innen. Wie gelingt es, eine so große Anzahl von Beteiligten mit unterschiedlichen Sprechweisen, Professionalisierungsgraden und Agenden zusammenzubringen und eine Arbeitsatmosphäre zu etablieren, die nicht nur zu Solidarität forscht, sondern auch dem untersuchten Gegenstand – dem solidarischen Miteinander – gerecht wird (wofür das akademische Feld nicht gerade bekannt ist)? Wurde über die Ästhetik und den Sound der Texte gestritten? Über das Ausmaß der Partizipation der beteiligten Initiativen bei ihrer Selbstpräsentation? Und den Spagat zwischen dem akademischen Hintergrund und dem eigenen Anspruch an Niedrigschwelligkeit und Verständlichkeit?
Wahrscheinlich. Aber das ist nicht das Thema der Ausstellung. Vielmehr geht es um die Frage: Wie wollen wir zusammen leben? Die aktuellen Kriege und das Erstarken rechter Parteien bestärken das Bedürfnis nach Beispielen, die auf Vertrauen aufbauen, die den Wunsch nach (nachbarschaftlichen) Verbindungen und Gleichberechtigung teilen und vormachen, wie man sich zusammenschließen und organisieren kann, um gesellschaftliche Entwicklung im eigenen Sinne zu verändern. Diese Beispiele kann man in der Ausstellung finden.

Die Ausstellung Spaces of Solidarity ist vom 6. Oktober bis 21. Januar 2024 im DAZ, Wilhelmine-Gemberg-Weg 6, 10179 Berlin zu sehen.
Die Ausstellung ist Teil des Forschungsverbundes Transforming Solidarities. Praktiken und Infrastrukturen der Migrationsgesellschaft (2020-2024).
Vorgestellte Initiativen: Berlin Arrival Support, Bilgisaray, Gesundheitskollektiv Neukölln, Gorillas Workers Collective, Kumi*13, Nachbarschaftsinitiative Habersaathstraße, RuT Wohnen, Stadt von Unten/ZusammenStelle, TransVer _ Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung

Fotos: Ausstellungsansicht DAZ; Station Molkenmarkt/ Deutsche Wohnen Enteignen, Station Hauptbahnhof/ Berlin Arrival Support, Station Sonnenallee/ Gesundheitskollektiv Neukölln, Nachbarschaftsinitiative Habersaathstraße, Station Leopoldplatz/ TransVer _ Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung
 
Mi, 10/18/2023 - 11:24
Kurzbeiträge

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Die Mission. Kunst gegen Kälte 1997–2022 Die Geschichte der „Mission“ handelt von
Spaces of Solidarity Der Kiosk of Solidarity macht Station in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum

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