Bert, der Türöffner

Bert, der Türöffner

Hannes Obens / Interview: Jana Pareigis

Bert öffnet Türen.[1] Streng genommen nur eine – und zwar die einer Sparkassenfiliale in Berlin-Kreuzberg. Sieben Tage die Woche von 9 bis 18 Uhr bahnt er lächelnd Bankbesucher_innen den Weg. Durch diese preußische Disziplin ist er in nicht mal zwei Jahren eine Institution im Kiez geworden – jeder kennt ihn und (fast) alle mögen ihn. Nur einmal war es anders – die neue Filialleiterin wollte, dass er seinen Platz verlässt und drohte ihm mit der Polizei. Aber da hatte sie die Rechnung ohne Kreuzbergs Anwohner_innen gemacht: denn eine Unterschriftenliste ist hier besonders schnell angefertigt und genauso schnell gefüllt. Ohne dass Bert davon was wusste, hatten innerhalb eines Tages 120 Menschen unterschrieben, um gegen seine Vertreibung zu protestieren. Es hagelte auch mündliche Beschwerden und schließlich flehte die Filialleiterin Bert, der auf der anderen Straßenseite sein provisorisches Quartier bezogen hatte, an: „Ich halt es nicht mehr aus – bitte komm wieder zurück!“

 

Seitdem steht Bert dort wieder, zupft an seiner Gitarre, unterhält sich zwischendurch auf Deutsch und Englisch und bekommt immer mal wieder Münzen zugesteckt während wir mit ihm reden. Seine Geschichte ist verworren, voller Brüche und klingt fast unglaublich. Er kommt aus Amerika, ging wegen „legal problems“ vor vielen Jahren nach Europa und kehrte zurück, als seine Mutter durch „Katrina“ ihr Haus in Louisiana verlor. Er half ihr bei ihrem Umzug in einen anderen Bundesstaat, wurde dann aber dort verhaftet und kam für zwei Jahre ins Gefängnis – weswegen, erzählt er nicht. Nach der Zeit im Knast ging er wieder nach Europa und landete schließlich vor der Sparkasse.

 

„Bist du zufrieden wie es ist und mit der Wahl der Bank?“, fragen wir ihn. Bert zögert kurz, sagt, dass es okay ist, dass er die Leute und vor allem die Kinder mag, die sich über ihn freuen. Außerdem hat er keine andere Chance, es ist sein einziges Einkommen. Aber was ihm fehlt, ist eine Frau. Und er weiß nicht so recht, ob er nicht besser die Bank wechseln sollte, um in einem anderen Stadtteil zu arbeiten, in dem es mehr Singlefrauen gibt. „Was sind deine Träume?“, wollen wir wissen. Die haben nichts mit dem Stadtleben zu tun, ganz im Gegenteil: „Ich bin ein Bauer. Ich möchte ein Stück Land irgendwo, einen richtig sturen Esel, Hunde, Hühner und eine anständige Frau.“ Unterdessen öffnet er wieder die Tür, lächelt einen Besucher an und grüßt zwei vorbeiziehende Kinder.



[1] Bert ist nicht sein echter Name.

audioplayer: 
Di, 10/30/2012 - 10:38
Kurzbeiträge

Einwürfe

50% Urban Anna-Lena Wenzel berichtet von einer einwöchigen Sommerschule zum Thema Transformation in Motion.
Zwischen Laternen und Flaggen Ein Essayfragment von Marco Oliveri über das fragile Konstrukt Nachbarschaft
Tischlein Deck Dich Das Buch flavours & friends von TDD enthält Rezepte, ist die Dokumentation einer sozialen Raumpraxis und hält die Veränderungen Berlins fest.

Fundsachen

Gefährten* Eine Serie von Stoffbeuteln, hergestellt aus Stoffen aus der VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt, fotografiert von Lysann Nemeth.
Malheur Couleur Die Farbe Weiß weckt zuallererst Assozia
Sechser Inflationär verbreitet: gepinselte Sechsen auf temporärem Stadtmobiliar. 

Straßenszenen

Berliner Trümmerberge Eine Recherche zu den Berliner Trümmerbergen von Karoline Böttcher mit einem Text von Luise Meier. 
Kabinett Gallery Die Kabinett Gallery nutzt ausgediente Kaugummiautomaten als Ausstellungsflächen im öffentlichen Raum
Zu Gast im 24. Stock Algisa Peschel, Stadtplanerin und eine der Erstbewohnerinnen des DDR-Wohnkomplexes in der Berliner Leipziger Straße lädt zu sich nach Hause ein.

So klingt

die Platte Zwei Songtexte von WK13 und Joe Rilla bringen die Ost-Plattenbauten zum Klingen
der Görlitzer Park K.I.Z. rappt über den Görlitzer Park.
Pedestrian Masala Field-Recordings von Andi Otto aus Bangalore, Südindien.

So lebt

man nicht mehr im Prenzlauer Berg Das war einmal: der Prenzlauer Berg im Jahr 1991, erinnert von Jo Preußler
(e) es sich im Vertragsarbeiterheim in der Gehrenseestraße Im Februar 2023 lud ein Kollektiv[1] ein
man an der spanischen Touristikküste Architektur- und Reiseeindrücke von 2023/24 von Benjamin Renter, der an der spanischen Mittelmeerküste den Einfall der Investitionsarchitektur festgehalten hat.