RUMBLE IN THE URBAN JUNGLE

Schwerpunkt: Kampfzone Berlin

RUMBLE IN THE URBAN JUNGLE

Die Köpenicker Straße, Teil 2
Hannes Obens und Anna-Lena Wenzel / Fotos: Tassilo Letzel

Die gut zwei Kilometer lange Köpenicker Straße ist „New Berlin“ und das alte Berlin zugleich, ein Ort krachender Gegensätze und Widersprüche ohne Schminke – und somit inzwischen einmalig im Berliner Zentrum. Mancherorts atmet sie noch das morbide Berlin der 80er, während gleich nebenan große Immobilienprojekte von den Verheißungen oder Verheerungen der Zukunft künden. Hier prallt Platte auf Technoclub, besetzte Brache auf Luxusloft und Edelrestaurant auf Revolutionssymbolik.

 

Krachende Gegensätze


Der zweite Teil des Spaziergangs beginnt an der Kreuzung zur Schillingbrücke. Wo früher Brache war, weil die Grenze direkt über die Brücke verlief, steht nun ein massiver Neubau. Es handelt sich um die Geschäftsstelle der Gewerkschaft ver.di – der Expertin für den institutionalisierten Streit, die „Mindestlohn für alle“ fordert. Hier, ungefähr auf halber Höhe der Köpenicker Straße, erreicht die „Kampfzone“ ihren Höhepunkt, weil die Gegensätze so unmittelbar aufeinander prallen: Immobilieninvestoren versuchen alteingesessene Hausbesetzer_innen, Künstler_innen und Migrant_innen von Grundstücken zu vertreiben, während diese ihre (Frei-)Räume gegen Bauprojekte für Touristen und Studierende aus gutem Elternhaus verteidigen.

 

Gegenüber der Gewerkschaftszentrale rottet eine Bauruine vor sich hin. Dort sollte mal ein Altenheim entstehen. Zeitweise galt dieses Bauprojekt als Zeichen für den Anfang vom Ende der unmittelbar benachbarten KÖPI, einer Ikone der Berliner Hausbesetzerszene, die jeder anständige Punk zwischen Lublin und Sevilla kennt. Aber der Investor ging insolvent, die KÖPI lebt und tanzt weiter. Trotz vieler rechtlicher Auseinandersetzungen feierte das autonome Wohn- und Kulturzentrum, das im Februar 1990 besetzt wurde, 2015 sein 25-jähriges Jubiläum mit einem Party-Marathon. Im Gegensatz zu ver.di haben sich ihre Bewohner_innen einem Weg der Kompromisse konsequent verweigert.

 

Die Nutzer_innen des Hauses gegenüber hatten nicht so viel Glück: In einer ehemaligen Platte hatte das Kunstkollektiv KUNSTrePUBLIK günstige Ateliers eingerichtet. Doch das Gebäude musste letztes Jahr geräumt werden. Kein Einzelfall: in Berlin wird die Suche nach einem bezahlbaren Atelier zunehmend zu einem K(r)ampf. Denn, wie der Berufsverband Bildender Künstler BBK in einem Newsletter schreibt: „Für mittlerweile nahezu 10.000 professionelle Bildende Künstlerinnen und Künstler ist Berlin der zentrale Ort der Produktion und professionellen Kommunikation in Europa. […] Die Infrastruktur für künstlerisches Arbeiten gerät jedoch aufgrund von Mietsteigerungen und Verwertungsbewegungen auf den Immobilienmärkten, u.a. in Folge des insgesamt erfreulichen Wachstums der Stadt, unter Druck. Allein 2014 sind ca. 350 Ateliers auf dem freien Markt verloren gegangen. Somit wird die Gewährleistung dieser Infrastruktur jetzt zu einer auch stadtentwicklungspolitischen und städtebaulichen Herausforderung.“ [1] Anfang März 2016 wurde das Haus von linken Aktivisten besetzt, die in dem leer stehenden Gebäude ein selbst verwaltetes „SocialCenter“ einrichten wollten. Nach einigen Stunden räumte aber die Polizei das Gebäude, diesmal sogar ohne die übliche Prügelorgie.[2]

 

Kämpfe um Wohn- und Arbeitsraum


Neben der Platte befindet sich auf dem hinteren Teil des Geländes eine ehemalige Eisfabrik, heute ein weiterer umkämpfter Ort in der Köpenicker Straße. Seit 1896 wurde hier Eis produziert. In den 1990er Jahren stellte der Betrieb die Herstellung ein. Seit 1995 stehen die verbliebenen Gebäude leer. In den denkmalgeschützten Bauten lebten mehrere Jahre Bulgaren und Rumänen – ohne Mietvertrag, ohne Wasser, Strom und Heizung. Als die Eigentümergesellschaft die Bewohner im Dezember 2013 von der Polizei aus dem Haus vertreiben ließ, gab es Proteste von der Initiative „Zwangsräumung verhindern“.[3] Trotz vieler Pläne liegt das Areal weiterhin brach, u.a. weil sich die Eigentümer nicht einig werden. Die vertriebenen Bewohner wurden zeitweise in benachbarten Hotels untergebracht.

 

Im Eiltempo entstand dagegen das Studentenwohnheim The Fizz – living cum laude. Der Neubau bietet hochpreisige Studentenwohnungen an und begründet dies u.a. damit, dass „unsere Studentenwohnheime nicht nur Orte zum Studieren, Wohnen und Leben [sind]. Es sind vielmehr pulsierende und kreative Begegnungsstätten, die einen einzigartigen Zugang zu einer smarten, internationalen Studentengemeinschaft verschaffen und Raum für neues Denken eröffnen.“[4] Eine eigene Rubrik auf der Webseite wendet sich direkt an die Eltern der Studierenden und verkündet: „Seien Sie unbesorgt!“

 

Luxus trifft auf Massen-Platte


Gegenüber dieser Unterkunft für junge Snobs aus aller Welt steht das A&O Hostel. Hier geht es weniger luxuriös zu: in einer ehemaligen Platte befinden sich 450 Zimmer und 1600 Betten, man zahlt ab 9 Euro pro Nacht. Scharenweise werden hier Klassen aus Bussen gespuckt und laufen im Pulk durch die Köpenicker Straße. Diese Massenabfertigung hat unter anderem dazu geführt, dass Touristen im Kiez gar nicht gern gesehen sind. „No Tourist“ oder „Touristen? Face fisten!“-Poster lassen keine Fragen offen, wer für manche das neue Feindbild ist.

Die Hostelbetreiber haben wiederum mit anderen Gegnern zu kämpfen: Im März 2015 endete ein jahrelanger Gerichtsstreit, bei dem der Betreiber das Bewertungsportal HolidayCheck wegen eines negativen Eintrags verklagt hatte. In einem Eintrag hatte eine „Sabrina“ das Haus als Hostel des Grauens beschrieb: „Die Matratze besteht aus ca. 4 cm Schaumstoff. Die Zimmer waren mit Bettwanzen befallen. Eine Mitarbeiterin habe behauptet, dass dies schon mal vorkomme.“ Die Hostelkette klagte gegen die schlechte Bewertung. Vor dem Bundesgerichtshof scheiterte die Firma. HolidayCheck & Co. dürfen weiterhin negative Beurteilungen anzeigen.“[5]

 

Ein Stück weiter wechseln sich Baustellen und Neubauten ab. Die Filetstücke direkt am Wasser hat sich eine genossenschaftliche Baugemeinschaft gesichert und dort das sogenannte Spreefeld erreichtet, Party-Hipster und Alt-Linke rissen sich gleichermaßen um die Genossenschaftsanteile, mittlerweile sind die ersten Genossen_innen bereits wieder entnervt ausgezogen, obwohl (oder gerade weil?) ihr Anliegen so vielversprechend klingt: „Die Bau- und Wohngenossenschaft Spreefeld Berlin eG betrachtet es als ihre Aufgabe, Wohnraum für generationsübergreifende, sozial gemischte, nachbarschaftliche Arbeits- und Wohnformen zum Nutzen ihrer Mitglieder und auf nachhaltige Art und Weise zu schaffen.“[6]

 

Bürgeridyll vs. Clubkultur


Ebenso verheißungsvoll klingt es auf der Gegenseite. Hier, an der Nr. 124, wird seit 2014 am „Spree Green“ gebaut – entstehen sollen hochwertige Eigentumswohnungen und Gewerbeeinheiten für Trendsetter. Geworben wird mit günstigen Preisen, gehobener Ausstattung, vielversprechendem Wertzuwachs und der besonderen Umgebung: „Coole Clubs und Bars entlang der Spree, ein Kinderbauernhof und andere selbstgeschaffene Oasen machen diesen Kiez interessant und liebenswert.“ Bei der Geschwindigkeit mit der die Miet- und Kaufpreise steigen, klingt es fast absurd, doch die „Aufwertung dieser zentralen Achse im Sanierungsgebiet Nördliche Luisenstadt wird noch bis 2025 von der Stadt unterstützt. Bürgerschaftliches Engagement ist dabei ausdrücklich erwünscht – kommen Sie jetzt dazu und gestalten Sie Ihren zukünftigen Kiez an der Spree noch mit!“[7] Ob damit auch die regelmäßigen Farbattacken auf Neubauten in dieser Gegend gemeint sind?  

 

Während bei „Charlotte Home“ also bürgerliches Idyll beschworen wird, ist die Köpenicker Straße in diesem Teil bei einem anderen Klientel vor allem für ihre Clubkultur bekannt: im alten Kraftwerk befindet sich mittlerweile der Tresor, es folgt das Sage und um die Ecke der KitKatClub. Aber auch dieses Partyrefugium ist in Gefahr. Auf einer Plakatwand am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße steht gut lesbar: „An die Investoren der Ohmstraße: Hier existiert seit Jahrzehnten Berliner Clubkultur! Wir bitten um Rücksicht bei Ihrem Eigentumswohnungs-Bauvorhaben.“ Das klingt verzweifelt, fast schon tragisch und soll heißen, dass die neuen bürgerlichen Nachbarn die Clubbetreiber doch bitte nicht mit Lärmschutzklagen überziehen sollen – wie an so vielen anderen Orten in Berlin. Die Konsequenz ist, dass Clubs und Partypeople in den letzten Jahren immer mobiler sein müssen und sich verstärkt auf den Weg in die Berliner Peripherie (vor allem Richtung Rummelsburg und Lichtenberg) machen.

 

Geschichte der Widersprüche


Der letzte Teil der Köpenicker ist dann wieder ruhiger, fast schon gediegen. Stattliche Gründerzeithäuser, aus der Zeit also, in der die Köpenickerstraße zur Luisenstadt gehörte, wechseln sich mit gar nicht mal so hässlicher Ostplatte ab. Ein monumentales Denkmal erinnert an Hermann Schulze-Delitzsch, einen deutschen Sozialreformer, der zu den führenden Gründervätern des deutschen Genossenschaftswesens zählt. Die Geschichte des Denkmals erzählt ein Stück typisch widersprüchliche Berlingeschichte: Errichtet 1899, ließ die DDR-Führung in den frühen Siebzigerjahren das Denkmal entfernen, weil ihrer Auffassung nach Schulze-Delitzsch Wahlspruch: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ deutlich im Gegensatz zu der in der DDR geltenden Marx´schen Grundauffassung stand.[8]

Nach der Wende wurde der Platz erneut in Schulze-Delitzsch-Platz benannt und das Denkmal wiedererrichtet – allerdings ohne die es ursprünglich begleitenden Bronzefiguren, die bereits im zweiten Weltkrieg eingeschmolzen worden waren.

 

An ihrem Ende angelangt, ist es unmöglich zu sagen, was die Köpenicker heute im Jahr 2016 eigentlich ist: wahrscheinlich irgendetwas zwischen Investorenparadies, urbanem Wasteland und alternativem Utopia. Sie ist sicher keine Schönheit, unfertig und mit Narben übersät. Aber sie lebt, bietet noch eine Fülle versteckter Lebensräume und Nischen für die Menschen, die uns diese Stadt so lieben lassen.

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Fundsachen

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Glitches GLITCHES ist die Bezeichnung für eine Re

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man im Olympiapark 1953 begonnen Timofej Wassiljewitsch Pro