Eigentümer*innen, die auf Mieterdemos gehen

Eigentümer*innen, die auf Mieterdemos gehen

Ein Eigentumsverhältniss-Glossar
Text und Fotos: Anna-Lena Wenzel
Eigentümer*innen von Wohnungen sind häufig entweder Privatpersonen, unbekannte Immobilienkonsortien oder marktwirtschaftlich orientierte Genossenschaften. In Zeiten von steigenden Mieten und knapper werdendem Wohnraum werden sie Projektionsflächen für Spekulation und Raffgier. Doch so einfach ist es nicht. Eigentümer*innen sind nicht per se „böse“ und auch nicht per se Immobilienhaie, ausländische Fonds oder Briefkastenfirmen. Sie sind vielmehr mitten unter uns, wie diese Auflistung verschiedener Eigentumsverhältnisse zeigt. Was sie noch verdeutlicht: Eigentümer*innen sind in der Mehrzahl Menschen, die geerbt haben. Damit entstehen neue gesellschaftliche Gräben: nicht nur zwischen denjenigen, die erben und denjenigen, die nicht erben, sondern zwischen denjenigen, die in ihren eigenen Wohnungen bleiben können, und denen, die verdrängt werden. Ein weiterer Graben wird durch diese Tendenz ebenfalls bestärkt: zwischen Ost- und West-Deutschland, da in der Bundesrepublik Eigentum historisch bedingt sehr ungleich verteilt ist. Das Privileg zu erben ist gleichbedeutend mit der Aussicht auf eine Zusatzeinnahmen im Alter (wenn die Immobilie vermietet wird) und verspricht Schutz gegen Verdrängung und Immobilienspekulation, doch auch hier zeigt sich: Immobilienbesitz verspricht nicht per se Sicherheit, vor allem wenn er mit Kreditaufnahmen verbunden ist.

- Bekannte A. hat von ihrer Mutter eine Wohnung in einer anderen Stadt geerbt, in der eine WG lebt. Sie hat seit Jahren die Miete nicht erhöht und fährt einmal im Jahr auf die Eigentümerversammlung, aber sagt dort nicht viel. Sie selber wohnt in Berlin ebenfalls zur Miete. Nun ist ihre Wohnung an einen unbekannten Investor verkauft worden und die Lage unklar. Sie überlegt, ob sie die zu erwartende Mieterhöhung an ihre Mieter*innen weitergeben kann.

- Bekannte B. hat von ihrem Vater eine Wohnung gekauft bekommen, die sie zum Wohnen und Arbeiten nutzt. Sie erzählt, dass sie sich bei der Eigentümerversammlung nicht gegen die anderen und deren unästhetische Vorstellungen einer neuen Eingangstür hat durchsetzen können. Sie stört auch, dass sie in einem Viertel liegt, in dem es nicht so viele Gleichgesinnte gibt, dabei wollen viele andere genau hier wohnen.

- die Großeltern der Autorin C. haben in den 1960ern eine Datsche auf einem DDR-Grundstück gebaut. „Ein Ankaufsrecht, wie es das für Eigenheime auf fremdem Boden nach der Wende gab, ist bei Wochenendhäusern und Garagen nicht eingeräumt worden. Der Pachtvertrag für die Datsche fällt damit unter das Schuldrechtsanpassungsgesetz, das die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse von DDR und BRD nur befristet regelt: Bis 2022 gilt ein Investitionsschutz, danach müssten wir das Grundstück in seinem unbebauten Zustand zurückgeben, sollte der städtische Eigentümer den Pachtvertrag kündigen. Im Klartext kann das Abrisskosten um die 10.000 Euro bedeuten“, die eventuell auf die Enkelin zukommen.[1]

- Bekannte D. und E. haben von dem Erbe ihres Vaters eine Wohnung gekauft. Weil sie ein Kind erwarteten, haben sie eine Wohnung gesucht, in die sie selber einziehen wollten. Bei der Suche haben sie darauf geachtet, sozialverträglich zu kaufen, also keine, in der alte Menschen oder Familien leben, und haben sich für eine Studenten*innen-Wohngemeinschaft entschieden. Trotz langen Vorlaufs und Transparenz während des ganzen Prozesses, sind die Mieter*innen jedoch nicht ausgezogen. Klagen wollten die neuen Eigentümer nicht und haben deshalb zunächst eine andere Mietwohnung gesucht und gefunden. Weil ihr Anwalt dennoch zu einer Klage riet, da der Eigenbedarf ansonsten nicht glaubwürdig erscheinen würde, haben sie diese dann doch eingereicht. Am selben Tag erreichte sie die Meldung, dass die Mieter*innen nun doch ausziehen würden. Weil sie nicht so schnell aus der anderen Wohnung rauskonnten, haben sie die Wohnung zunächst untervermietet und sind erst zwei Jahre später umgezogen.

- Bekannte F. hat mit Unterstützung ihrer Eltern eine Wohnung in derselben Straße gekauft, in der sie vorher wohnte. Weil sie Eigenbedarf hatte, hat sie die Mieter*innen (eine Frau und ihren Sohn) gebeten auszuziehen, hat sie bei der Wohnungssuche unterstützt und ihnen immer wieder die vorgegeben Frist verlängert, weil sie nicht eine der vielen doofen Immobilienbesitzer*innen sein wollte. Eine Klage der Mieter*innen gegen sie wurde abgelehnt. Die Mieter*innen mussten ausziehen.

- Bekannte G. und H. haben eine Eigentumswohnung gekauft, die neu gebaut wurde, und dafür einen Kredit aufgenommen. Nach einem halben Jahr ist bei Sturmschäden die Erdgeschosswohnung voll Wasser gelaufen. Momentan gibt es einen Rechtsstreit, wer die Kosten dafür übernimmt. Sie suchen eine neue Wohnung.

- Bekannte I. hat mithilfe von Geld aus ihrer Familie eine Wohnung gekauft und vermietet diese nun regelmäßig unter. Da sie als Künstlerin zu wenig verdient, ist sie auf die Einnahmen angewiesen.

- Bekannte J. hat zusammen mit einer guten Freundin ein Haus in Portugal gekauft, es renoviert und vermietet es nun unter, wenn sie nicht selber vor Ort ist. Das mit der Renovierung hätte etwas länger gedauert, aber das kostet ja alles nichts im Vergleich zu hier, wenn man es dort mit den Locals vor Ort macht.

- Bekannte K. hat eine Eigentumswohnung im ersten Stock, nun wollen die Mieter ganz oben einen Fahrstuhl einbauen lassen, aber die Bekannte wehrt sich, um die Kosten nicht mittragen zu müssen. Endlose Eigentümerversammlungen und Androhungen von rechtlichen Schritten sind die Folge.

- Bekannte L. hat nach dem Tod ihres Vaters mit dem Erbe zwei nebeneinanderliegende Wohnungen für sich und ihren Freund gekauft. Nachdem sie sich getrennt haben, hat sie lange überlegt, zu welchem Preis sie die Wohnung vermietet soll, und hat sich für eine moderate Erhöhung entschieden.

- Bekannte M. vermietet ihr Atelier (eine Eigentumswohnung) unter, weil sie sich in einem Atelierhaus ein schöneres und geräumigeres Atelier gekauft hat. Um die Kosten reinzuholen und den Kredit abbezahlen zu können, vermietet sie ihr altes Atelier zu Preisen, die sie selber als zu hoch bezeichnet. „Aber was soll man machen?“, sagt sie.

- Familie N. hat einen Kredit aufgenommen, um die Anteile am Wohnbauprojekt zu zahlen. Sie haben zwei Kinder und arbeiten beide Vollzeit – auch um die Kredite bezahlen zu können. Oft ist jemand krank, zu den Sitzungen kann immer nur einer gehen, wenn überhaupt.

- Bekannte O. sucht seit Jahren nach einer zu erwerbenden Immobilie als Alterssicherung, aber findet nichts Passendes. Sie sagt, der Zug sei jetzt abgefahren, das Geld, das sie zur Verfügung hat, würde nicht mehr ausreichen und einen Kredit würde sie aufgrund ihres Selbstständigenstatus nicht bekommen.

- Bekannte P. und Q. sind Teil einer Baugruppe, die zu 70 Prozent aus Eigentümer*innen, 25 Prozent aus Genossenschaftsanteilen und zu 5 % aus sozialen Trägern besteht. 2012 war mit den Planungen begonnen worden, einmal im Monat fanden Treffen statt, die mitunter kontrovers verliefen. Unter anderem mussten wegen einer Budgetangleichung aufgrund gestiegener Baukosten die Quadratpreise angeglichen werden. 2018, mit eineinhalb Jahren Verspätung, konnten sie ihre Wohnung und ihre Ateliers beziehen. Für sie hat sich der Aufwand aufgrund der einzigartigen Architektur, der individuellen Raumplanungen und der besonderen Wohngemeinschaft gelohnt. Sie wissen zu schätzen, dass die Eigentümer*innen einen Teil der Baukosten der Genossenschaft übernommen haben, sodass es der Genossenschaft überhaupt möglich war, dabei zu sein. 

- Bekannte R. und S. haben sich entschlossen, Mitglied des Vereins zu werden, der ein großes Haus in Frankreich betreibt. Dazu müssen sie Anteile kaufen. Gleich im ersten Jahr gab es unerwartete hohe Kosten wegen Renovierungsmaßnahmen aufgrund von Sturmschäden. Für die Bekannten kamen Kosten in Höhe von zwei Monatsgehältern auf sie zu, wobei versucht wurde, die Kosten solidarisch unter den Vereinsmitgliedern aufzuteilen.

- Bekannter T. hat mit seinem Partner ein öffentlich gefördertes Grundstück anteilig gekauft. Die Stadt hat dieses zu einem günstigen Preis an eine Baugemeinschaft vergeben. Hierzu musste die Gemeinschaft ein überzeugendes Konzept vorlegen, das im Vergleich zu den Konzepten anderer Gemeinschaften geprüft wurde. Sie dürfen die Wohnung zehn Jahre nicht mit Gewinn verkaufen, um Spekulation auszuschließen. Der Bau verzögert sich und die Kosten steigen kontinuierlich. Wenn sie jetzt aussteigen, müssen sie jemanden finden, der ihnen ihren Anteil abkauft – aber ohne die Preissteigerungen, die während des Baus auf sie zugekommen sind.

- Bekannte U. erzählt mir, dass sie zu einer Zwangsversteigerung in eine Kreisstadt gefahren ist, weil sie sich für ein kleines Stück Land samt Häuschen im Kleingartenstil interessiert hat. Weil es zwei Bieter*innen gab, die sich gegenseitig anstachelten, kam sie leider nicht zum Zug. Was wohl mit den ursprünglichen Besitzer*innen passiert ist, frage ich noch, doch sie weiß es nicht.

- Das Haus von Bekannten V. und W. soll verkauft werden. Weil es sich im Milieuschutzgebiet befindet, könnte der Bezirk von seinem Vorverkaufsrecht Gebrauch machen. Die Mieterschaft schließt sich zusammen, nimmt Kontakt zum Bezirk auf und geht in die Öffentlichkeit, doch der Bezirk lässt die Option verstreichen. Pläne der Mieterschaft mithilfe des Mietersyndikats das Haus selbstständig zu erwerben scheitern ebenfalls. Das Haus wird daraufhin an einen neuen Besitzer verkauft. Seitdem hat er einige Wohnungen umgebaut und vermietet sie als möblierte Einzelzimmer, deren Mieten eindeutig über dem Mietspiegel liegen, und die jederzeit kündbar sind.  

- Bekannte X, Y und Z haben auf dem Land ein altes Krankenhaus entdeckt. Der ursprüngliche Plan das Grundstück samt Gebäude von den Eigentümern zu kaufen, schlug aufgrund überzogener Forderungen der Eigentümer fehl. Doch die Gruppe hat mit der Pächterin, die auf dem restlichen Grundstück ein Pflegeheim betreibt, in Form eines Unter-Erbrechtbauvertrags eine Lösung gefunden und ist seit Jahren dabei, das morsche Haus in Stand zu setzen und daran herum zu bauen. Doch der eigentlich 99 Jahre währende(!), übergeordnete Erbbaurechtsvertrag zwischen Pächterin und Eigentümern kann mit beiderseitigem Einverständnis durchaus aufgehoben werden, so dass es sein kann, dass die Pächterin Vertrag wie Untervertrag kündigt, wenn sie in Rente geht. Es gibt also keine Sicherheit, wie lange sie bleiben können und ob sich die mühevolle Arbeit, die in das Haus gesteckt wird, auszahlen wird.

[1] Paula Fürstenberg: Er nennt mich Ospe, in: der Freitag, Ausgabe 11/2020, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ich-bin-eine-ospe
 
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Fundsachen

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Straßenszenen

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(e) es sich im Vertragsarbeiterheim in der Gehrenseestraße Im Februar 2023 lud ein Kollektiv[1] ein
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