Zwei Wochen Ruhrpott
Zwei Wochen Ruhrpott
Fotos und Text: Anna-Lena Wenzel
10.6. Erster Tag in Bochum, erster Tag meines selbstgewählten Stipendiums, meiner selbstorganisierten Ruhrgebietsrecherche (wozu auch immer). Ich wohne südlich vom Hauptbahnhof, in einem Antifa-Gebiet, was man an den vielen tags sehen kann, die hier überall zu sehen sind. Es ist ein Arbeiterviertel, mit einfachen Häusern, gepflegten Gärten, und Straßennamen, die SPD-Politikern gewidmet sind. Es ist grün hier, mit Innenhöfen, in denen Eichhörnchen rumlaufen und alles gut gepflegt zu sein scheint. Die Innenstadt in ihrem Einheitslook, gepflastert überall und mit Glasfassaden versehen, wirkt dagegen wenig einladend. Mich zieht es immer wieder raus, in die Viertel, die gleich anders wirken, eine andere Stimmung verbreiten. In Bochum im Kunstmuseum gewesen, eine Führung bei einer herausgeputzten Dame gemacht, die voll dem Klischee entsprach mit der grünen Hose, dem weiß-blau gestreiften Hemd und ihren Lacoste-Turnschuhen (die allerdings schon Löcher hatten in ihrem feinen Gewebe). Die hat doch tatsächlich vor jedem Bild erklärt, was wir darauf sehen können, als wären wir doof oder so.
11.6. Zum ersten Mal im Supermarkt in Bochum, es gibt keine frische Rote Beete, aber dafür eine Fleischtheke, aus der es herausduftet, wie ich es schon lange nicht mehr gerochen habe. Hummus gibt’s auch nicht, immerhin Hafermilch, aber nur mit Soja. Ich muss mir keine Sorgen machen: die ist bestimmt nicht (wie in Berlin ständig) ausverkauft hier.
12.6. Das ist schön, wie vor dem Fenster meiner Wohnung kurz unter dem Dach bei Wind, sich plötzlich eine Birke hineinneigt in den Blickausschnitt, ganz leicht sieht das aus, wie sie da vor sich hinwankt. An die Wohnung mit Außenklo muss ich mich erst mal gewöhnen, weil ich immer die Haustür offen lasse und keine Lust habe die Klotür abzuschließen. Da darf man nicht an Krimi-Szenen denken – oder an den Artikel, den ich letztens über einen alten Herren gelesen habe, dessen Etagenklo plötzlich verschwunden war. Gestern beim Lichtkunstmuseum in Unna schon wieder so eine dröge Führung gehabt, wobei das stimmt nicht, er hat einfach nur extrem langsam gesprochen. Und erklärte die Dinge eben für nicht Kunst-Kenner, was ja eigentlich super ist, dass die hierherkommen. Da wird dann nicht erwähnt, dass es sich um eine Arbeit von Olafur Eliasson handelt, sondern ein paar Mal gesagt, dass sei ein international bedeutender Künstler, um zu unterstreichen, wie hochkarätig die Sammlung ist. Leider gab es nur eine Frau in der Sammlung, was mich echt schockiert hat. Aus dem Impuls entstanden, für Unna ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, was ein bisschen arg nach Stadtmarketing klingt, ist ein toller Ort geworden, in diesen Kellergewölben, in denen sich extra für diesen Ort entstandene Kunstwerke befinden.
13.6. Liebe Julia, Sounds habe ich noch nicht aufgenommen, aber gesammelt. Stell dir zunächst eine alte herrschaftliche Villa vor, die mit Holzfußboden ausgestattet ist, der bei jedem Schritt quietscht. Und dann hörst du Wasserfallrauschen – das war gestern in Unna, bei einer Installation von Olafur Eliasson. Aus der Ferne schwebten sogar noch ein paar Walgesänge aus einer Installation von Rebecca Horn herüber. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich eine Birke im Wind zappeln und sich hin und herwiegen. Das ist auch ein schönes Geräusch! Und dann gibt es morgens ein polterndes, quietschendes Geräusch, wenn die Müllabfuhr kommt und aus den Luken in den Häuserwänden die Mülltonnen abholt.
14.6. Ein hiesiges Problem: dass jeder Kreisbezirk auf seine Autonomie pocht, dass die Verkehrsverbünde sich nicht zusammenschließen, dass es viele Fettnäpfchen gibt, in die man hineintreten kann (O-Ton Britta Peters). Ruhrpottpoetik: Verstürzte Strecke (Bezeichnung für Gesteinsformation) Das fand ich schon super schräg: in dieser Villa Hügel (das Anwesen der Familie Krupp) zu sein, mit diesem riesigen Park drumherum. Was es kostet, das alles in Schuß zu halten! Und dann sind da nur so ein Paar Peoples und mehr Aufsichten als Besucher*innen. Dieses alte Gebäude, das noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, alt und knarzig ist, aber für die damalige Zeit mit den neuesten technischen Gimmicks aufwartete: Versteckte Türen und Aufzüge, Lüftung, einen Chinesischen Salon! Aber es ist ein toter Ort. Ich frage mich, wo die Familie seit 1952, als sie das Gebäude von den Alliierten zurückbekommen hat, gelebt hat. Wie sah das damalige Protz-Äquivalent aus? Was gar nicht ging: die Ausstellung im Nebenhaus, in der die Stiftung abgefeiert wird und viel Selbstlob am Start ist. Immerhin wird erwähnt, dass es Zwangsarbeit gab, dass ordentlich vom Rüstungsgeschäft profitiert wurde und ein Deal mit dem Schah von Persien geschlossen wurde. Was vergessen wird: dass der letzte Sprössling der Familie schwul und ein Lebemann war, der angeblich freiwillig zugunsten der Stiftung auf sein Erbe verzichtet hat. (Ich recherchiere später, dass Teile der Familie rechtliche Schritte gegen die Überführung des Vermögens bzw. ihres Erbes in eine Stiftung eingeleitet haben, aber ohne Erfolg).
15.6. Ich muss ja gestehen, dass ich das ganze Konzept von Urbane Künste Ruhr ziemlich gut finde – die Dezentralität, die aber nicht vollkommen ausufert, die Verortung an öffentlichen Orten, die aber nicht unbedingt draußen sein müssen, sondern Orte sind, die öffentlich zugänglich sind und an denen verschiedene Besucher*innengruppen aufeinandertreffen. Die Entscheidung Kunstwerke auszuwählen, die sich mit dem Ort/ dem Kontext der „Metropole Ruhr“ auseinandersetzen, ohne dabei zu abstrakt oder didaktisch zu werden, weil klar ist, dass man es hier mit einem Publikum zu tun hat, das nicht unbedingt Kunst-affin ist. Mit den Irrlichter-Touren wird zugleich die Umgebung/ die Stadt zum Thema, wird die Aufmerksamkeit für die Kunst genutzt und umgelenkt. Das Magazin ist auch eine Entdeckung: Das Ruhrgebiet wird hier als Anti-Metropole, polyzentrisches Ballungsgebiet, Rhizom beschrieben und Stadt als doppelter Text: „Einerseits sind Stadträume Ansammlungen offen liegender Texte wie Reklametafeln, Straßenschilder oder Alltagsgespräche; andererseits besitzt der Stadtraum selbst eine Struktur, die ihn für Bewegungen der Lektüre öffnet.“ Thomas Ernst, in: Urbane Künste Ruhr Magazin, 2019
16.6. Im Folkwangmuseum gewesen, wieder abgetörnt gewesen, dabei ist das doch eine tolle Architektur. Aber es ist alles so elitär hier und es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn die Aufsichten um einen herum schleichen, weil sie so unterbeschäftigt sind. Dabei steht am Eingang, dass es den Essener Bürger*innen gewidmet ist. Was für ein Hohn, wenn dann niemand hier ist. Es wundert mich nicht, dass es von der Krupp-Stiftung finanziert ist, die ja ähnlich elitär daher kommt. In Bochum beim ehemaligen Opelwerk vorbeigefahren, das gerade abgerissen wird, und durch ein quietschgelben DHL-Gewerbe ersetzt wird. Wie verkraftet die Gegend den Wegfall so vieler Arbeitsplätze? Dazu passt, das der Opelautocheck auf dem Rückweg ergab: es gibt mehr Japaner denn Opels in den Straßen.
17.6. Duisburg: Eine einstmals prosperierende Stadt, die heute mit so viel Leerstand und Perspektivlosigkeit ausgestattet ist. Bin zum Thyssengelände gefahren und habe es einmal umrundet, dystopisch irgendwie. Ein Beispiel für den einstigen Reichtum ist das wirklich tolle Lehmbruckmuseum, das extra für die Lehmbruckskulpturen gebaut wurde, von dessen Sohn, und wenn man an den Fensterfronten zum Park steht, liegen auf der anderen Seite die Spritzen und die angekokelten Alufolienreste. Das ist auch merkwürdig: zuerst den Reichtum zu sehen in Form der Villa Hügel/ dem Folkwangmuseum, und nun an den Orten vorbeizufahren, auf denen dieser Wohlstand aufbaut: endlose Rohrverstrickungen, die sich durch die Landschaft ziehen, megalomane Industrieareale und -anlagen, die aber auch alle schon in die Jahre gekommen, rostig aussehen. Wie lange machen sie es noch? Hat das alles noch eine Zukunft oder ist das meiste eh schon abgewickelt und wird bald nach China importiert? Ich fahre am Werkseingang vorbei, und gegenüber ist ein Haus bei dem ich nicht sagen kann, ob es jetzt leer steht oder noch in Betrieb ist, dabei war das mal repräsentativ/ was besonderes mit seiner emailliert aussehenden Fassade! Eine Ecke weiter stehen plötzlich frische Betonwände auf abweisende Weise zur Straße, gefüllt mit grün, es sieht nach Landschaftsarchitektur aus, und wenn man reinfährt, ist die andere Seite Wiese, und man kann sehen, dass hierfür Häuser abgerissen wurden, und fragt sich, wieviel hat das wohl gekostet, dieses ambitionierte Unterfangen und ist das nicht etwas überambitioniert im Verhältnis zu den oftmals recht heruntergekommenen Häuser, die hier noch so rumstehen? Ich frage mich unwillkürlich: Wer wohnt hier? Wer sind die Zurückgebliebenen? Auf dem Weg zurück, werde ich noch an einigen leerstehenden Häusern vorbeikommen begleitet von dem Gefühl, dass hier etwas zu Ende ist. Das Schild, das die lebenswerte Stadt am Rhein anpreist, ist ein Hohngesang in Anbetracht der Situation und gleichzeitig stimmt es, denn als ich im Ruhrort strande und auf die Rheinbrücke rauffahre, öffnet sich der Blick auf die Rheinwiesen und es sieht plötzlich alles ganz friedlich aus. Ich setze mich in den Biergarten, bestelle Bratkartoffeln mit Heringsdippen und ein Alster und bin zufrieden.
18.6. Das ist eigentümlich: mit der Straßenbahn von Essen nach Mülheim fahrend, deren Gleise sich in der Mitte einer Autobahn befinden, und dann dort, weil der Zug ausfällt, fünfzehn Minuten warten müssen, umrauscht vom Lärm der Autos, gefangen auf dem schmalen Bahnsteig. Nicht gut. An der Ruhruniversität vorbeigefahren, dieser betonierten Sozialdemokratie, der zu Beton gewordenen Sozialdemokratie. Was für ein Wahnsinn, dieses Areal, zu dem kein Fahrradweg führt, dessen Eingangsbereich eine Garage ist. Eine autogerechte Universität sozusagen. Von der man aber einen tollen Blick in die Landschaft hat und die von grün durchzogen ist. So wie hier halt alles von Kontrasten geprägt ist, man von Gelsenkirchen über Wattenscheid nach Bochum mit der Straßenbahn fahren kann ohne zu merken wann eine Stadt an- und die andere aufhört, wo man aber auch mit dem Fahrrad hinfahren kann, eine Stunde durchs Grün und am Kanal entlang.
19.6. In der Situation Kunst in Bochum gewesen; was für eine großzügige Anlage! Da gibt es für einzelne Künstler einen eigenen Pavillon und ein Gebäude, dessen Räume jeweils angepasst sind an die ausgestellten Künstler – im Farbton der Wände und der Höhe der Decke. Man spürt hier eine tolle Konzentration. Aber dennoch ist diese großartige Sammlung stehengeblieben, denn sie aktualisiert sich nicht. So wie das Ruhrgebiet stehen geblieben ist, oder besser: verharrt ist in der Vergangenheit, die durch Industrie und Bergwerk geprägt war und irgendwie immer noch ist, nur leider ohne Arbeitsplätze? Das ist interessant, wie unterschiedlich die Städte sind, wie unterschiedliche sie sich anfühlen: Ist Unna richtig kleinstädtisch mit hübschem Marktplatz, gefällt mir Bochum, weil es genau die richtige Größe hat, damit ich mich auf mein Fahrrad setzen kann und ohne Plan losfahre, während Essen zu hoch hinauswill, mir nicht gefällt, Gelsenkirchen wiederum kommt mit vor, als hätte es kein Zentrum (obwohl ich durch die volle Einkaufspassage laufe), und Oberhausen, als wenn hier die Tristesse wohnt.
20.6. Wie man eine Stadt kennenlernt: in dem man mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt/ sich irgendwo in den Bus/ in die U-Bahn setzt, durch den Stadtpark rennt, die Einkaufsstraße durchläuft, den Friedhof besucht, den Stadtanzeiger liest. Das ist halt auch das Ruhrgebiet: Werbung von Bogesa, den Bochumer Verkehrsbetrieben, in denen von Omis und Muttis die Rede ist, die nur darauf warten, dass man nach Hause kommt, weil das Essen schon auf dem Tisch steht. Uarg! Aber wenn das nicht wäre, also diese lokalen Besonderheiten, dann würde alles so aussehen, wie in Berlin/ wie der hippste Scheiß halt. Das wäre auch langweilig.
11.6. Zum ersten Mal im Supermarkt in Bochum, es gibt keine frische Rote Beete, aber dafür eine Fleischtheke, aus der es herausduftet, wie ich es schon lange nicht mehr gerochen habe. Hummus gibt’s auch nicht, immerhin Hafermilch, aber nur mit Soja. Ich muss mir keine Sorgen machen: die ist bestimmt nicht (wie in Berlin ständig) ausverkauft hier.
12.6. Das ist schön, wie vor dem Fenster meiner Wohnung kurz unter dem Dach bei Wind, sich plötzlich eine Birke hineinneigt in den Blickausschnitt, ganz leicht sieht das aus, wie sie da vor sich hinwankt. An die Wohnung mit Außenklo muss ich mich erst mal gewöhnen, weil ich immer die Haustür offen lasse und keine Lust habe die Klotür abzuschließen. Da darf man nicht an Krimi-Szenen denken – oder an den Artikel, den ich letztens über einen alten Herren gelesen habe, dessen Etagenklo plötzlich verschwunden war. Gestern beim Lichtkunstmuseum in Unna schon wieder so eine dröge Führung gehabt, wobei das stimmt nicht, er hat einfach nur extrem langsam gesprochen. Und erklärte die Dinge eben für nicht Kunst-Kenner, was ja eigentlich super ist, dass die hierherkommen. Da wird dann nicht erwähnt, dass es sich um eine Arbeit von Olafur Eliasson handelt, sondern ein paar Mal gesagt, dass sei ein international bedeutender Künstler, um zu unterstreichen, wie hochkarätig die Sammlung ist. Leider gab es nur eine Frau in der Sammlung, was mich echt schockiert hat. Aus dem Impuls entstanden, für Unna ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, was ein bisschen arg nach Stadtmarketing klingt, ist ein toller Ort geworden, in diesen Kellergewölben, in denen sich extra für diesen Ort entstandene Kunstwerke befinden.
13.6. Liebe Julia, Sounds habe ich noch nicht aufgenommen, aber gesammelt. Stell dir zunächst eine alte herrschaftliche Villa vor, die mit Holzfußboden ausgestattet ist, der bei jedem Schritt quietscht. Und dann hörst du Wasserfallrauschen – das war gestern in Unna, bei einer Installation von Olafur Eliasson. Aus der Ferne schwebten sogar noch ein paar Walgesänge aus einer Installation von Rebecca Horn herüber. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich eine Birke im Wind zappeln und sich hin und herwiegen. Das ist auch ein schönes Geräusch! Und dann gibt es morgens ein polterndes, quietschendes Geräusch, wenn die Müllabfuhr kommt und aus den Luken in den Häuserwänden die Mülltonnen abholt.
14.6. Ein hiesiges Problem: dass jeder Kreisbezirk auf seine Autonomie pocht, dass die Verkehrsverbünde sich nicht zusammenschließen, dass es viele Fettnäpfchen gibt, in die man hineintreten kann (O-Ton Britta Peters). Ruhrpottpoetik: Verstürzte Strecke (Bezeichnung für Gesteinsformation) Das fand ich schon super schräg: in dieser Villa Hügel (das Anwesen der Familie Krupp) zu sein, mit diesem riesigen Park drumherum. Was es kostet, das alles in Schuß zu halten! Und dann sind da nur so ein Paar Peoples und mehr Aufsichten als Besucher*innen. Dieses alte Gebäude, das noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, alt und knarzig ist, aber für die damalige Zeit mit den neuesten technischen Gimmicks aufwartete: Versteckte Türen und Aufzüge, Lüftung, einen Chinesischen Salon! Aber es ist ein toter Ort. Ich frage mich, wo die Familie seit 1952, als sie das Gebäude von den Alliierten zurückbekommen hat, gelebt hat. Wie sah das damalige Protz-Äquivalent aus? Was gar nicht ging: die Ausstellung im Nebenhaus, in der die Stiftung abgefeiert wird und viel Selbstlob am Start ist. Immerhin wird erwähnt, dass es Zwangsarbeit gab, dass ordentlich vom Rüstungsgeschäft profitiert wurde und ein Deal mit dem Schah von Persien geschlossen wurde. Was vergessen wird: dass der letzte Sprössling der Familie schwul und ein Lebemann war, der angeblich freiwillig zugunsten der Stiftung auf sein Erbe verzichtet hat. (Ich recherchiere später, dass Teile der Familie rechtliche Schritte gegen die Überführung des Vermögens bzw. ihres Erbes in eine Stiftung eingeleitet haben, aber ohne Erfolg).
15.6. Ich muss ja gestehen, dass ich das ganze Konzept von Urbane Künste Ruhr ziemlich gut finde – die Dezentralität, die aber nicht vollkommen ausufert, die Verortung an öffentlichen Orten, die aber nicht unbedingt draußen sein müssen, sondern Orte sind, die öffentlich zugänglich sind und an denen verschiedene Besucher*innengruppen aufeinandertreffen. Die Entscheidung Kunstwerke auszuwählen, die sich mit dem Ort/ dem Kontext der „Metropole Ruhr“ auseinandersetzen, ohne dabei zu abstrakt oder didaktisch zu werden, weil klar ist, dass man es hier mit einem Publikum zu tun hat, das nicht unbedingt Kunst-affin ist. Mit den Irrlichter-Touren wird zugleich die Umgebung/ die Stadt zum Thema, wird die Aufmerksamkeit für die Kunst genutzt und umgelenkt. Das Magazin ist auch eine Entdeckung: Das Ruhrgebiet wird hier als Anti-Metropole, polyzentrisches Ballungsgebiet, Rhizom beschrieben und Stadt als doppelter Text: „Einerseits sind Stadträume Ansammlungen offen liegender Texte wie Reklametafeln, Straßenschilder oder Alltagsgespräche; andererseits besitzt der Stadtraum selbst eine Struktur, die ihn für Bewegungen der Lektüre öffnet.“ Thomas Ernst, in: Urbane Künste Ruhr Magazin, 2019
16.6. Im Folkwangmuseum gewesen, wieder abgetörnt gewesen, dabei ist das doch eine tolle Architektur. Aber es ist alles so elitär hier und es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn die Aufsichten um einen herum schleichen, weil sie so unterbeschäftigt sind. Dabei steht am Eingang, dass es den Essener Bürger*innen gewidmet ist. Was für ein Hohn, wenn dann niemand hier ist. Es wundert mich nicht, dass es von der Krupp-Stiftung finanziert ist, die ja ähnlich elitär daher kommt. In Bochum beim ehemaligen Opelwerk vorbeigefahren, das gerade abgerissen wird, und durch ein quietschgelben DHL-Gewerbe ersetzt wird. Wie verkraftet die Gegend den Wegfall so vieler Arbeitsplätze? Dazu passt, das der Opelautocheck auf dem Rückweg ergab: es gibt mehr Japaner denn Opels in den Straßen.
17.6. Duisburg: Eine einstmals prosperierende Stadt, die heute mit so viel Leerstand und Perspektivlosigkeit ausgestattet ist. Bin zum Thyssengelände gefahren und habe es einmal umrundet, dystopisch irgendwie. Ein Beispiel für den einstigen Reichtum ist das wirklich tolle Lehmbruckmuseum, das extra für die Lehmbruckskulpturen gebaut wurde, von dessen Sohn, und wenn man an den Fensterfronten zum Park steht, liegen auf der anderen Seite die Spritzen und die angekokelten Alufolienreste. Das ist auch merkwürdig: zuerst den Reichtum zu sehen in Form der Villa Hügel/ dem Folkwangmuseum, und nun an den Orten vorbeizufahren, auf denen dieser Wohlstand aufbaut: endlose Rohrverstrickungen, die sich durch die Landschaft ziehen, megalomane Industrieareale und -anlagen, die aber auch alle schon in die Jahre gekommen, rostig aussehen. Wie lange machen sie es noch? Hat das alles noch eine Zukunft oder ist das meiste eh schon abgewickelt und wird bald nach China importiert? Ich fahre am Werkseingang vorbei, und gegenüber ist ein Haus bei dem ich nicht sagen kann, ob es jetzt leer steht oder noch in Betrieb ist, dabei war das mal repräsentativ/ was besonderes mit seiner emailliert aussehenden Fassade! Eine Ecke weiter stehen plötzlich frische Betonwände auf abweisende Weise zur Straße, gefüllt mit grün, es sieht nach Landschaftsarchitektur aus, und wenn man reinfährt, ist die andere Seite Wiese, und man kann sehen, dass hierfür Häuser abgerissen wurden, und fragt sich, wieviel hat das wohl gekostet, dieses ambitionierte Unterfangen und ist das nicht etwas überambitioniert im Verhältnis zu den oftmals recht heruntergekommenen Häuser, die hier noch so rumstehen? Ich frage mich unwillkürlich: Wer wohnt hier? Wer sind die Zurückgebliebenen? Auf dem Weg zurück, werde ich noch an einigen leerstehenden Häusern vorbeikommen begleitet von dem Gefühl, dass hier etwas zu Ende ist. Das Schild, das die lebenswerte Stadt am Rhein anpreist, ist ein Hohngesang in Anbetracht der Situation und gleichzeitig stimmt es, denn als ich im Ruhrort strande und auf die Rheinbrücke rauffahre, öffnet sich der Blick auf die Rheinwiesen und es sieht plötzlich alles ganz friedlich aus. Ich setze mich in den Biergarten, bestelle Bratkartoffeln mit Heringsdippen und ein Alster und bin zufrieden.
18.6. Das ist eigentümlich: mit der Straßenbahn von Essen nach Mülheim fahrend, deren Gleise sich in der Mitte einer Autobahn befinden, und dann dort, weil der Zug ausfällt, fünfzehn Minuten warten müssen, umrauscht vom Lärm der Autos, gefangen auf dem schmalen Bahnsteig. Nicht gut. An der Ruhruniversität vorbeigefahren, dieser betonierten Sozialdemokratie, der zu Beton gewordenen Sozialdemokratie. Was für ein Wahnsinn, dieses Areal, zu dem kein Fahrradweg führt, dessen Eingangsbereich eine Garage ist. Eine autogerechte Universität sozusagen. Von der man aber einen tollen Blick in die Landschaft hat und die von grün durchzogen ist. So wie hier halt alles von Kontrasten geprägt ist, man von Gelsenkirchen über Wattenscheid nach Bochum mit der Straßenbahn fahren kann ohne zu merken wann eine Stadt an- und die andere aufhört, wo man aber auch mit dem Fahrrad hinfahren kann, eine Stunde durchs Grün und am Kanal entlang.
19.6. In der Situation Kunst in Bochum gewesen; was für eine großzügige Anlage! Da gibt es für einzelne Künstler einen eigenen Pavillon und ein Gebäude, dessen Räume jeweils angepasst sind an die ausgestellten Künstler – im Farbton der Wände und der Höhe der Decke. Man spürt hier eine tolle Konzentration. Aber dennoch ist diese großartige Sammlung stehengeblieben, denn sie aktualisiert sich nicht. So wie das Ruhrgebiet stehen geblieben ist, oder besser: verharrt ist in der Vergangenheit, die durch Industrie und Bergwerk geprägt war und irgendwie immer noch ist, nur leider ohne Arbeitsplätze? Das ist interessant, wie unterschiedlich die Städte sind, wie unterschiedliche sie sich anfühlen: Ist Unna richtig kleinstädtisch mit hübschem Marktplatz, gefällt mir Bochum, weil es genau die richtige Größe hat, damit ich mich auf mein Fahrrad setzen kann und ohne Plan losfahre, während Essen zu hoch hinauswill, mir nicht gefällt, Gelsenkirchen wiederum kommt mit vor, als hätte es kein Zentrum (obwohl ich durch die volle Einkaufspassage laufe), und Oberhausen, als wenn hier die Tristesse wohnt.
20.6. Wie man eine Stadt kennenlernt: in dem man mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt/ sich irgendwo in den Bus/ in die U-Bahn setzt, durch den Stadtpark rennt, die Einkaufsstraße durchläuft, den Friedhof besucht, den Stadtanzeiger liest. Das ist halt auch das Ruhrgebiet: Werbung von Bogesa, den Bochumer Verkehrsbetrieben, in denen von Omis und Muttis die Rede ist, die nur darauf warten, dass man nach Hause kommt, weil das Essen schon auf dem Tisch steht. Uarg! Aber wenn das nicht wäre, also diese lokalen Besonderheiten, dann würde alles so aussehen, wie in Berlin/ wie der hippste Scheiß halt. Das wäre auch langweilig.