Too many DJs

Schwerpunkt: Kampfzone Berlin

Too many DJs

DJ und Labelmacher BENN FINN über den Kampf um Anerkennung und Geld in der Berliner DJ-Szene
Marcel Bode / Foto: Benn Finn

Durch die technischen Innovationen der letzten Jahre war es noch nie so einfach wie heute, elektronische Musik zu machen. Die Folge ist eine Explosion der Anzahl von digitalen Veröffentlichungen und eine riesige Zahl von DJs, die ihre Musik vor Publikum präsentieren wollen. Eine Entwicklung, die besonders die Berliner Klubkultur nachhaltig verändert hat. Zum Gespräch über diese Prozesse traf ich mich mit dem DJ und Label-Chef BENN FINN.


Marcel: BENN FINN, du machst seit mehr als zehn Jahren elektronische Musik. Wie hat das alles angefangen?


BENN FINN: Mit Musik habe ich mich eigentlich schon immer beschäftigt. Als ich dann 2003 aus dem Umland nach Berlin gezogen bin, fing ich an, die Klubszene hier zu entdecken. Besonders fasziniert hat mich damals die Musik, die dort gespielt wurde. Ich kaufte mir für Unsummen zwei Plattenspieler und einen Mixer und verbrachte immer mehr Zeit zuhause vor den Geräten oder in verschiedenen Plattenläden, um mir dort tausende Schallplatten anzuhören. Durch die vielen Klubbesuche habe ich sehr schnell Leute kennengelernt, die selbst Musik machten und in der Elektroszene unterwegs waren. Sie zeigten mir, was man brauchte, um eigene Sachen zu produzieren. Anfangs habe ich mit analogen Geräten herumexperimentiert. Etwas später kam ein digitaler Musiksequenzer dazu, mit dem ich heute noch arbeite. Beigebracht habe ich mir den Umgang mit der Technik selbst. Mit Handbüchern, die teilweise dick wie Telefonbücher sind. Mit der Zeit kam dann immer mehr Zubehör dazu. Inzwischen habe ich ein Heimstudio, in dem ich meine Musik selbst produzieren kann.


Wie bist du zu deinen ersten Auftritten gekommen, nachdem du das Know-how für die Musik hattest?


Aus Mangel an Connections gründete ich 2009 mein eigenes Label. So konnten ich und meine Freunde mit unserer Musik über soziale Netzwerke und Downloadshops ein größeres Publikum erreichen. Ich spielte dann immer öfter in kleineren Berliner Klubs. Und mit dem Spielen kamen neue Anfragen und auch immer mehr Erfahrung dazu. Letztlich wurde so ein immer größerer Kreis auf mich und mein Label aufmerksam. Eine Art Initialzündung war mein Song It´s true, der 2013 zu einem kleinen Ohrwurm in der Szene wurde. Der Song lief auf verschiedenen Radiosendern und auf großen Elektro-Festivals, DJs bauten den Track in ihre Sets ein und schließlich riefen mich Bookingagenturen an, die mit mir arbeiten wollten. Das ganze Auflegeding ging plötzlich ganz schön nach vorne. Ich spielte in der Folgezeit überall in Deutschland und merkte allmählich, welch großes Geschäft die Klubmusik ist. Gerade in Berlin.


Inwiefern ein Geschäft? 


In Berlin tobt ein riesiger Kampf ums Auflegen. Alle wollen auflegen, alle wollen spielen – ohne zu wissen, was dazugehört. Es ist für neue Leute auch nicht schwer an Gigs zu kommen, weil es nicht mehr darum geht, dass du irgendwas sein musst, sondern nur noch darum, dass du spielst, um Klubs zu füllen. Es gibt Leute, die sagen sich, sie werden jetzt DJs, ziehen nach Berlin und nehmen jede Möglichkeit wahr, irgendwo aufzulegen. Die machen das für 100 Euro, auch mal für 200 Euro und dann wieder für gar nichts außer einer Hand voll Getränkemarken. Die stehen dann auf jedem dritten Flyer. Natürlich ist deren Name irgendwann jedem ein Begriff, aber leisten tun sie aus künstlerischer Sicht nichts. Durch die heutige Technik kann das, was die machen, jeder, der sich eine Weile lang mit der nötigen Software beschäftigt. Im Klub kann auch das Publikum gar nicht mehr nachvollziehen, wie groß der Anteil des DJs an der Musik ist. Die Zeit der Plattenspieler ist vorbei. Standard sind heute zwei CD-Player und ein Mehrkanalmixer. Der Artist kommt in der Regel nur mit einem USB-Stick in den Klub und spielt seinen Kram runter. Für die DJs, die aus einer Zeit kommen, als es was bedeutet hat, gute Musik zu machen, ist diese Entwicklung natürlich bitter. Viele von denen spielen nicht mehr in Berlin, da es so viele Leute gibt, die viel günstiger auflegen.


Würdest du den Klubs eine Mitschuld an der aktuellen Entwicklung geben?


Da muss man unterscheiden. Einigen Klubs geht es in erster Linie darum, möglichst viele Leute zu ziehen. Denen ist die Musik egal. Auch der Mehrheit der Klubbesucher ist die Musik egal. Denen geht es nicht um die Mucke, sondern um das Event und die Bespaßung. Dann gibt´s in Berlin bekanntere Läden wie das Watergate, bei denen die Namen der DJs im Vordergrund stehen. Bei den astronomischen Eintritts- und Getränkepreisen dort kann der durchschnittliche Klubgänger sich regelmäßige Besuche in solchen Läden jedoch kaum leisten. Besonders gut gefällt mir aktuell der Club der Visionäre. Den gibt es schon ewig, er ist genial gelegen und bietet tolle Künstler zu fairen Preisen. Ebenfalls empfehlenswert finde ich die Fiese Remise.


Durch deine Aussagen macht es den Eindruck, als hätten Bookingagenturen  und Klubbetreiber die gesamte DJ-Szene im Griff. Gibt es keine Zusammenschlüsse engagierter Künstler, die sich dem aktuellen Ausverkauf entgegenstellen? 


Meine Erfahrung ist leider, dass sich in der DJ-Szene jeder selbst der Nächste ist. Ein soziales Miteinander gibt es nur in Ansätzen. Als ich mit der Musik angefangen habe dachte ich, beim Musikmachen treffe ich auf viele Gleichgesinnte, für die es auch das Schönste ist, sich mit ihrer Musik auszudrücken. In erster Linie geht es der Mehrheit aber um Anerkennung. Das machen sich clevere Bookingagenturen, Veranstalter oder Softwarefirmen zu nutzen. Die füllen sich mit den Träumen der kleinen Leute ihre Taschen. Eine neue Geld- und Abzockmaschine sind die sich aktuell enorm vermehrenden Promopools. Hinter einem solchen Pool steht ein Typ, der eine große Anzahl an E-Mail-Adressen von DJs gesammelt hat. Für einen festgeschrieben Preis bietet dieser Typ an, ihm einen Track zu senden, den er an seine Kontaktliste weiterschickt. Kommentiert einer der Empfänger den Track auf einer Onlineplattform, kann er ihn sich gratis downloaden. So kommen die DJs aus der Kontaktliste sehr einfach und kostenlos an neue Tracks und die Produzenten des gesendeten Tracks können sich damit schmücken, dass irgendein DJ ihren Track runtergeladen und kommentiert hat. Doch der eigentliche Nutznießer ist der Poolbetreiber, bei dem die Kasse klingelt. Ich finde es auch problematisch, dass die Künstler in der Szene heute kaum noch die Zeit haben, sich mehrere Monate hinzusetzen, um ein Album zu produzieren. Durch die Schnelllebigkeit der Szene, mit ihrer enormen Zahl an neuen Artists und Veröffentlichungen, kennt den Künstler nach sechs Monaten keiner mehr. Selbst wenn er einen großen Namen hat, kann es passieren, dass sein Album nach der Veröffentlichung kaum wahrgenommen wird. Das Problem ist, dass viele Leute kaum einen Unterschied zu den Nullachtfünfzehn-Produktionen hören. Jemand, der oberflächlich produziert, kann mit dreihundert Tracks die ganze digitale Musikwelt verseuchen und schnell viele Hörer erreichen.


Aber in gewisser Weise hast du doch ähnlich angefangen.


Ja sicher, am Anfang wollte ich natürlich wahrgenommen werden. Was ich künstlerisch  bei bestimmten Sets geleistet habe, war bestimmt aus heutiger Sicht ein Witz. So ein DJ Set zu machen, wie du es heute auf Soundcloud in Massen hörst, ist nicht schwer. Du gehst auf ein Musikportal wie Beatport und guckst dir die Top 100 an. Daraus bedienst du dich und in zwei Stunden spielst du zwölf Tracks, die alle ineinander passen. Durch die aktuelle Technik läuft das ohne Probleme. Die DJs, die jetzt nachkommen, die überrollen dich einfach mit dieser Herangehensweise. Durch diese Schnelllebigkeit ist es wahnsinnig schwer, ein Teil dieser Szene zu sein. Wenn du daneben noch einen Job hast oder ein soziales Leben haben willst, wird es ganz schwer, das alles unter einen Hut zu bringen.


Sind viele der von dir genannten Probleme nicht in erster Linie Folge der Oberflächlichkeit der Konsumenten elektronischer Musik?


Meiner Meinung nach waren die Macher elektronischer Musik in den 80er und 90er Jahren Menschen mit hohem Musikverständnis und Anspruch an ihre Sachen. Auch den Hörern dieser Künstler würde ich ein hohes Musikverständnis zusprechen. Das ging aber mit der Zeit irgendwie zurück. Der Tiefpunkt ist für mich die EDM-Welle, die aktuell aus den USA rüber schwappt. Diese Kommerzialisierung elektronischer Musik überrollt und zerstört die Szene und spricht in erster Linie Hirnlose an.


Deine Äußerungen über die Szene klingen ziemlich desillusioniert. Wie geht´s denn bei dir weiter? Schmeißt du jetzt die ganze DJ-Sache hin und verkaufst selbstgehäkelte Topflappen auf eBay


Nein, ich versuche mich auf mein Label zu konzentrieren. Schließlich habe ich mir jahrelang eigene Wege generiert, um unabhängig Musik zu veröffentlichen – digital und inzwischen auch auf  Vinyl. Mich treibt der Wunsch an, die Qualität meiner Musik weiter zu verbessern. Ich sehe das auch nicht als Arbeit, denn Musik bereichert mein Leben und macht mich glücklich. Im September wird mein neues Album veröffentlicht. Das geht dann über die ganzen digitalen Kanäle: beatport, iTunes, Amazon, facebook.  Dem Zeitgeist entsprechend werde ich die digitale Welt mit meiner Mucke zuscheißen. Aber der digitale Vertrieb interessiert mich eigentlich nicht. Im Fokus steht für mich die Vinylversion des Albums. Denn diese 250 Schallplatten mit meiner Musik schwirren nicht einfach irgendwo im Netz oder auf USB-Sticks umher. Es wird sie immer in den Plattenregalen von Leuten geben, denen Musik etwas bedeutet.


Links:

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