Die „Weltstadt Berlin“ als Kampfzone
Die „Weltstadt Berlin“ als Kampfzone
Sobald Politik zum Marketing geworden ist, kündet ein neuer Slogan von größtmöglicher Veränderung. Insofern kann auch in der jüngsten Initiative des Regierenden Bürgermeisters Müller, künftig im Humboldtforum zu zeigen, was Berlin zur Weltstadt macht, ein gewichtiger Schritt erkannt werden. Die Botschaft: Berlin ist nicht mehr „arm, aber sexy“, sondern kosmopolitisch. Nicht mehr eigenbrötlerisch, sondern von globalem Rang. Nicht mehr Castorf, sondern Dercon.
Doch nicht nur für die Stadtoberen, auch für den einfachen Mann der Straße dürfte der neue Slogan eine sinnfällige Evidenz besitzen. Ihm, der sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als Berliner begreift, drängt sich tagtäglich die Welt in verschiedenen Erscheinungsformen auf – als nervender Tourist mit Rollkoffer, als mietpreistreibender Vertreter des internationalen Hipstertums, als Arbeitsmigrant im Blaumann oder als dealender Geflüchteter.
Irgendwo zwischen den Behauptung des politischen Marketings und dem tatsächlichen Stadterleben des Berliners begann jüngst eine wissenschaftliche Tagung im .HBC (ehemals „Haus Ungarn“) den Begriff der „Weltstadt Berlin“ zu ergründen. Der von den Stadtforscherinnen Julia Roth (Universität Bielefeld), Frank Müller (Bundesuniversität Rio de Janeiro) und Laura Kemmer (Universität Hamburg) organisierte Konferenz ging es dabei letztlich darum, ob Berlin eine Weltstadt ist und wie sich dieser Slogan zu den gegenwärtigen sozialen Kämpfen verhält.
Gewiss: Die Diskussion um die Weltstadt Berlin wurde schon oft geführt. Jedoch hätte man die Gegensätze dieser Debatte wohl nicht prägnanter hervortreiben und für die Gegenwart nutzbar machen können, als es die Konstellation des einleitenden Podiums tat. Auf der einen Seite Saskia Sassen, renommierte Soziologin der Columbia University und globale Vortragsreisende in eigener Sache, die ihre wissenschaftliche Karriere maßgeblich durch die Erforschung von „global cities“ bestritten hat. Auf der anderen Seite Michael Sontheimer, ehemals taz-Mitbegründer und Chefredakteur, heute Publizist, wohnhaft in Berlin seit 1962 und sich seitdem auch offensichtlich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als Berliner begreifend.
Auf Spiegel Online hatte Sontheimer zuletzt schon die Müller-Pläne für das Humboldtforum kritisiert und auch auf der Konferenz wiederholte er sein nostalgisches Loblied des Partikularen: Berlin sei keine Weltstadt, auch nie gewesen, erst durch alte, weiße Männer in der West-Berliner Stadtverwaltung sei der Begriff propagiert worden. Wenn dieser Slogan heute von offizieller Seite wieder aufgegriffen werde, handle es sich immer noch um das Symptom eines Minderwertigkeitskomplexes, der Berlin aber im Zuge seines Ausagiertwerdens immer weiter zu einer normalen Großstadt machen würde, in der die einstmals durch die Altvorderen erkämpften Freiräume verschwänden.
Mit derlei schlichter Eindeutigkeit wollte Sassen die Frage nach der Weltstadt Berlin nicht beantwortet wissen. Zwar sei es keine „global city“ im Sinne des von ihr geprägten Konzepts, da es kein Zentrum der globalen Ökonomie sei, womöglich sogar das Gegenteil. Nichtsdestoweniger speise sich das städtische Leben in Berlin aber aus einer Reihe von globalen Strömen, vor allem der Migration, Kunst und Kultur, aber zusehends auch des spekulativen Kapitals. Sassen versteht Weltstädte demgemäß mittlerweile auch als Orte, in die sich die Grenzen unserer Zeit verlagern. Damit meint sie, dass es an diesen Orten keine im Voraus festgelegten Regeln für das Zusammenleben gebe, es seien Räume, in denen auch die Machtlosen eine eigene Ökonomie, eine eigene Geschichte, eine eigene Kultur schaffen können und sich somit die entscheidenden sozialen Kämpfe unserer Zeit abspielen.
Sofern man also mit Sassen von der „Weltstadt Berlin“ spricht, wird sowohl die Frage nach der Einbettung der Stadt in den globalen Kapitalismus als auch nach der Konfiguration ihrer gegenwärtigen sozialen Kämpfe aufgeworfen. Entlang der Verquickung dieser beiden Fragen entspann sich auch der weitere Verlauf der Tagung.
Während der Humangeograph Kanishka Goonewardena (University of Toronto) darauf hinwies, dass allein die Strategie des Stadtmarketings einer neoliberalen Wettbewerbslogik entspringe, zeigte die Stadtforscherin Alexa Färber (HafenCity Universität Hamburg) wie diese Logik schon von Wowereits Vorgängerslogan „arm, aber sexy“ ausbuchstabiert wurde: er wendete das Phänomen des persönlichen Scheiterns zur Ressource im Standortwettbewerb und erzeugte damit ein Klima, in dem die Berliner Kreativwirtschaft gedeihen konnte.
Der folgende Aufstieg Berlins zum globalen „epicenter of cool“, wie der Guardian noch 2011 schrieb, zog einschneidende politökonomische Folgeerscheinungen nach sich, denen sich der bekannte Gentrifzierungsforscher Andrej Holm (Humboldt-Universität) in einem faktengesättigten Parforceritt widmete: was Zuwanderung, Mietpreisentwicklung und Mangel an bezahlbarem Wohnraum anbelange, zeige Berlin mittlerweile ein ähnliches Profil wie andere Weltstädte. Da aber die Berliner Stadtverwaltung all diese Entwicklungen lange Zeit ignoriert hätte, agierten in der politischen Auseinandersetzung einzig die sozialen Protestbewegungen auf Weltstadtniveau, so Holm.
Diesen und anderen lokalen Strategien des Widerstands, die die Weltstadt Berlin zur Kampfzone machen, widmeten sich schließlich unterschiedliche Vorträge und Präsentationen – während auf dem Podium die Initiative Kotti & Co (Ulrike Hamman, Universität Frankfurt), die Rolle des Wohnrechts im Refugee Strike (Napuli Paul Langa, Berlin) und die Kirchen als stadtpolitische Akteure (Andrea Steinke, Freie Universität Berlin) diskutiert wurden, stellte das Kollektiv Orangotango im Foyer sein Mapping-Projekt zum Thema „Aufwertung, Verdrängung und Widerstand in Kreuzberg“ vor.
Gerade die Bemühungen, die lokalen Widerstandstrategien zum Weltstadt-Begriff in Bezug zu setzten, lieferten dabei gewinnbringende Einsichten, weil sich so für die sozialen Kämpfe im Berlin der Gegenwart eine Perspektive jenseits des konservativen Partikularismus der alteingesessenen Protestkultur eröffnete. Florian Wüst vom Künstlerkollektiv „Haben und Brauchen“ hielt etwa fest, dass die Stadtverwaltung gerne den Slogan der Weltstadt wählen könne, denn dieser wäre anschlussfähig für Forderungen nach einem Recht auf Leben und Arbeit für Menschen aus aller Welt, welche in den sozialen Kämpfen zunehmend an Bedeutung gewinne. Und Goonewardena merkte demgegenüber an, es müssten nicht nur die globalen Einflüsse auf Berlin untersucht, sondern auch beachtet werden, welche Eigenheiten Berlins global verbreitet werden könnten – und dafür hatte er die lange Tradition radikaler Politik und des Protests auserkoren.
Am Ende der Tagung stand also nicht mehr die Frage im Vordergrund, ob Berlin eine Weltstadt ist oder jemals war, es ging nicht mehr um einen Gegensatz von Stadt und Welt. Stattdessen erschien die Stadt als Ort, in der die Widersprüche der globalisierten Welt unausweichlich zu Tage treten. Mit der unbestreitbaren Einbettung der Stadt in globale Ströme, die diesen sozialen Konflikten zugrunde liegen, kann der lokale Widerstand produktiv umgehen und so auf die Welt einwirken – oder sich in allmählich verblassenden Erinnerungen an das vergangene Berlin ergehen.
kollektiv orangotango: http://orangotango.info/