Hinter dem Orange

Hinter dem Orange

Im Rahmen der Ausstellung Geister, Spuren, Echos: Arbeiten in Schichten in der Akademie der Künste der Welt in Köln (31.10.2020 – 25.04.2021) haben die Kuratorinnen Eva Busch und Madhusree Dutta das Kollektiv Momentography of a failure eingeladen, einen Stadtforschungsworksops zur Gig-Ökonomie durchzuführen. Die Ergebnisse umfassen Interviews mit Lieferdienstmitarbeiter*innen (sogeannten Ridern), Fotostrecken, Corporate Poetry und ein dreidimensionales Modell der Lieferdienstwege. Sie sind Teil der Ausstellung und auf der Webseite dokumentiert. Der Workshop wurde geleitet von Nafiseh Fathollahzadeh, Künstlerin und Begründerin von Momentography of a failure, Parham Mortazavian, Stadtforscher und Mitglied von Momentography of a failure, und Orry Mittenmayer, Aktivist und Gründer von Liefern am Limit, einer Kölner Initiative, die sich für bessere Arbeitsbedingungen für Fahrradkurier*innen von Lebensmittellieferdiensten einsetzt. Die Interviews führte Cathrin Wiedemann.

Ausstellungsansicht der mehrteiligen Installation "Momentography of a failure" in der Akademie der Künste der Welt, 2020, Foto: Mareike Tocha

„Wie gesagt, das Freiheitsgefühl ist schön draußen, man muss nicht gerade auf jemanden unbedingt hören immer, außer man muss jetzt die Lieferung ausfahren. Ja, das ist schön.“

Interview mit Sarah, 29 Jahre, Lieferando-Rider aus Köln, die ihre Perspektive auf das Liefergeschäft wiedergibt.

Interviewender: Magst du einfach bisschen sagen, wer du bist? Woher du kommst und wie viele Stunden du arbeitest oder so?
Sarah: Also ich bin die Sarah, bin 29 Jahre alt, bin seit zwei Jahren ungefähr bei Lieferando und mache pro Woche 30 Stunden, also Teilzeit momentan.

I: Wie bist du denn zu dem Rider-Job gekommen, also zu Lieferando?
S: Und zwar hab ich 2016 bei Foodora gearbeitet, da hat mich das sehr interessiert, dann bin schwanger geworden, und habe dann aus privaten Gründen das Kind abgetrieben. Und wollte eigentlich danach dann bei Foodora weiterarbeiten, aber die wollten mich dann nicht arbeiten lassen. Und dann bin ich zu Stückwerk gegangen ein Jahr später und hab da ungefähr auch ein Jahr gearbeitet. Das ist auch so ein Pizza-Lieferdienst. Und ja, dann bin ich zu Lieferando gekommen, also dadurch halt, weil es mir immer noch Spaß gemacht hat und ich immer noch das gleiche machen wollte.
I: Dann waren die der neue Arbeitgeber, die neue Company, oder?
S: Ja, genau.

I: Was sind Gründe dafür, dass du da arbeitest, für dich?
S: Freiheitsgefühl auf der Straße, du hast keinen hinter dir stehen, der dir direkt sagen kann „hey, du machst was falsch“ oder auch „ey, du machst was richtig“. Und halt weil, ja, mich interessiert die Stadt sehr, ich mein, ich wohn ja hier auch.
I: Bist du auch hier geboren in Köln? S: Ja genau. Ich bin in Kalk geboren, aber seitdem eigentlich nichts mehr mit Kalk zu tun gehabt *lacht*. Ich wohne in der Südstadt, hab vorher als Kind in Ehrenfeld gewohnt und pendel eigentlich zwischendurch immer hin und her, mal nach Ehrenfeld ziehen, mal wieder in die Südstadt.
I: Wie zufrieden bist du mit deiner Arbeit?
S: Auf einer Skala von eins bis zehn würde ich jetzt mal sagen acht, also gut auf jeden Fall, ich bin sehr zufrieden, weil ich kann mir die Zeiten selber einteilen. Wie gesagt, das Freiheitsgefühl ist schön draußen, man muss nicht gerade auf jemanden unbedingt hören immer, außer man muss jetzt die Lieferung ausfahren. Ja, das ist schön.
I: Und fehlt dir irgendwas am Job?
S: Ja manchmal schon so ein Ansprechpartner, aber das kriegen wir jetzt oder haben wir jetzt auch. Wir haben unsere HC’s ja sowieso als Ansprechpartner, das sind diese Hub-Schichtleiter. I: Ah, ich wollte gerade fragen was ein HC ist.
S: Das sind Hub-Koordinatoren, so nennt man die. Und die sind eigentlich auch immer für uns da, wir können die immer anrufen. Aber einfach noch so einen direkten Ansprechpartner, das fehlt einfach, dass man zum Beispiel auch als Frau es nicht so schwer hat im Betrieb, weil es sind nur Männer vorne HC’s und ja, da sollte auch mal eine Frau hinkommen.
I: Auf jeden Fall. Du wirst einfach festangestellt, das ist der nächste Job würde ich sagen, oder? *beide lachen*
S: Ja ich hab sowieso schon meinem Chef gesagt, dass ich das machen will, aber Englisch. I: Aber hä, aber du verstehst doch Englisch?
S: Ich versteh es, aber ich kann’s nicht reden. Also nicht immer, besonders in so Situationen… I: Weil dann von den Fahrern viele nicht aus Deutschland kommen und dann Englisch sprechen?
S: Ja genau, viele sprechen nicht Deutsch und ich versuche es auf jeden Fall, ich hör mir immer alles an und versuche auch dann mit denen zu quatschen, das klappt auch meistens, aber so lernt man’s ja auch, oder?

I: Ja eben, anders kommt man da ja auch gar nicht hin. Wie fühlst du dich von Lieferando betreut?
S: Auf der einen Seite eigentlich ganz gut, da ich jetzt auch schon zwei Jahre da bin und ich mich auch gut mit dem Büro und den Schichtleitern verstehe, eigentlich ganz ganz gut. Natürlich gibt es manchmal auch Sachen, die nicht so gut laufen, zum Beispiel klagen viele Fahrer über zu lange Aufträge oder zu kurze Aufträge gibt’s auch natürlich.
I: Von Schichten her?
S: Genau, und von den Aufträgen, von den Ordern, wohin man fahren muss. Oder ich find’s halt zum Beispiel unfair, dass es eine Zweiklassengesellschaft gibt, einmal eben die mit E-Bike oder die mit normalem Fahrrad, und dass da eben nicht unterschieden wird, dass da nicht aufgepasst wird, dass die ohne E-Bike kürzere Strecken fahren. Und halt, dass die auch keinen Rückweg bezahlt bekommen von der letzten Order aus. Ja das sind alles so Sachen, da könnte man noch was machen. I: Aber du mit dem E-Bike bekommst den Rückweg bezahlt?
S: Ja, denn ich muss das Bike ja wieder zurückbringen.
I: Aber den Weg vom Hub zu dir, den kriegst du nicht bezahlt, oder?
S: Nee. Das wäre natürlich auch noch super. Aber ich glaube, das macht kaum ein Arbeitgeber. I: Ich glaub auch nicht, das wären ja schon so fünf Euro.
S: Kannst du von der Steuer absetzen, Gott sei Dank.
I: Ah ja, stimmt, Arbeitsweg. Hast du noch einen anderen Job? S: Nein hab ich nicht. Aber eventuell irgendwann in nächster Zeit würde ich mir nochmal so einen kleinen Zweitjob anlegen, mal gucken, vielleicht irgendwo mal abends an der Kasse arbeiten.

I: Was sagst du zu den Arbeitsbedingungen?
S: Ja Arbeitsbedingungen, wie schon eben bisschen gesagt, manche sind gut, manche sind schlecht. Man kann auf jeden Fall noch viel verbessern, ich bin ja auch im Betriebsrat mit Semih zusammen und ich denke da werden wir auf jeden Fall noch einige Sachen machen.

I: Wie lang möchtest du noch bei Lieferando arbeiten, oder hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht?
S: Ja, also ich hab natürlich gesagt, ich will jetzt nicht in zehn Jahren noch da arbeiten, aber ich versuche so lange da zu arbeiten, bis wir als Betriebsrat irgendwas Gutes da erreicht haben, dass die Mitarbeiter wenigstens vernünftig arbeiten können. Also vorher wollen wir da auch nicht rausgehen, haben wir gesagt, also zumindest drei Fahrer von uns, mein Bruder, Till und ich.
I: Ihr seid alle im Betriebsrat?
S: Ja, genau. Gott sei Dank!
I: Und was wäre so ein Punkt, der dich ganz arg stört, was Lieferando besser machen sollte? Etwas, was du erreichen würdest bevor du gehen würdest? S: Ganz, ganz, ganz wichtig sind andere E-Bikes! Weil unsere E-Bikes einfach Schrott sind, die gehen nach jedem zweiten Fahren kaputt. Oder eher gesagt, dass da mehr drauf geachtet wird, die mehr geprüft werden. Und natürlich mehr Lohn, ne? *lacht* Aber ich gebe mich noch zufrieden, aber natürlich könnte es immer mehr sein.

I: Wirst du beim Fahren…oder wie wirst du da wahrgenommen, beim Fahren? Hast du das mitbekommen, dass Leute über dich ein Gespräch starten, oder über Lieferando, wenn du vorbeifährst?
S: Ja, eigentlich ganz oft, fast jeden Tag. Entweder am Restaurant oder auf der Straße irgendwo, wenn da zwei oder drei Leute, oder kleine Kinder stehen: „Oh, Lieferando!“ So zum Beispiel das. Oder halt am Restaurant, wenn ich da warte auf eine Bestellung, da sieht man dann das Leute über dich reden, „hmm wie ist das bei Lieferando, öh guck mal, wieso macht die den Job“, wo ich mir dann auch manchmal denke, lass mich doch, ihr wisst doch gar nicht, wie das ist! *lacht*
I: Versteh ich auch. Man wird dann nicht mehr als individuelle Person wahrgenommen, sondern nur als Marke, oder wie ist das?
S: Quasi schon, ja, würde ich schon manchmal sagen.

I: Gibt es irgendwelche Orte in Köln, die du am stärksten mit Lieferando verbindest?
S: Ja, Ehrenfeld, Südstadt und….puh….
I: Weil da die meisten Bestellungen sind? S: Ja also ich bekomme die meisten Bestellungen in Ehrenfeld und Südstadt und ich hab auch ein Lieblingsrestaurant, Pizzapazzia in Ehrenfeld, ja ich glaub das war’s.
I: Die freuen sich wahrscheinlich auch wenn du kommst.
S: Ja, unnormal! Die sagen auch immer so „Sarah, wenn du kommst!“, also ich liefer auch immer die Bestellung am besten aus, weil die anderen schaffen das nicht, also die Pizza, die machen die senkrecht.
I: Die stellen die Pizza senkrecht?
S: Ja *lacht*
I: Ich hab das einmal gemacht, da hab ich mir dann ne Pizza geholt und hab die dann senkrecht getragen und dann zwei Sekunden später tropfte es einfach nur und ich dachte mir, oh wie dumm.
S: Ja voll! Das versteh ich auch nicht, wie viele Fahrer da nicht…
I: Ja du musst die halt eben reinlegen…
S: Das ist auch schon sehr oft passiert.

I: Was ist das gefährlichste an deinem Job?
S: Äh…der Job würde ich sagen ist das gefährlichste, wenn man auf der Straße am Fahren ist, Fahrrad fährt. Klar, ich hab immer die Augen auf, ich hör keine Musik.
I: Andere hören Musik?
S: Ja viele hören Musik, was ich auch gar nicht gut finde, weil, ne?
I: Man hört die Autos schlecht.
S: Ja, und mal will auch mal Hallo sagen, und dann hören die nichts, sind so hä? Na toll. *lacht* Ja und es ist wirklich gefährlich manchmal. Ich hab schon Situationen erlebt…ich wurde schon einmal angefahren, auf jeden Fall. Das war auch da an der Herwarthstraße, da wo wir…
I: Da wo wir am Anfang waren?
S: Ja. Seitdem fahr ich auch immer mit Helm, vorher bin ich auch nicht mit Helm gefahren. I: Aber man sieht ja auch viele, die den nie aufziehen, also die haben den dann nur dabei.
S: Also die müssen das eigentlich, Helmpflicht laut Vertrag, aber ist immer noch denen freigestellt ob sie das machen, aber dann müssen die auch damit rechnen, wenn die einen Unfall haben, dass der auch nicht bezahlt wird von der Versicherung.

I: Gibt es einen Ort in Köln, an dem die meisten Unfälle passieren, oder ist das so bekannt bei euch?
S: Also ich würde mal sagen wir haben einen Ort wo es sehr schlimm ist hinzufahren und sehr, sehr krass gefährlich, das ist zum Beispiel Burger King am Verteilerkreis.
I: Wo ist das?
S: Burger King Verteilerkreis unten an der Bonner Straße, ganz hinten durch, an der Autobahn.
 I: Die Straße ist eh scheiße.
S: Ja und Fahrer, die sich da nicht auskennen, fahren durch den Verteilerkreisel und wenn die nicht richtig gucken fahren die sogar auf die Autobahn.
I: Das ist schon passiert?
S: Also es ist nicht passiert, dass jemand mal auf die Autobahn gefahren ist, aber es fahren ständig Leute von uns durch den Kreisel und die Autos *macht aggressive Hup-Geräusche*, weil die dürfen das dann halt nicht und an der Seite gibt es halt einen Weg, aber der ist so unscheinbar und ich fänd’s halt auch eigentlich geil wenn Lieferando vielleicht mit der Stadt irgendwie mal redet und denen da irgendwie was hinmacht, dass man sieht, ey hier müsst ihr lang, so, ne? Weil das ist echt gefährlich da. Und sonst so Unfälle, am meisten passiert…nee gibt es keinen bestimmten Ort, aber ich denke mitten in der Stadt passiert schon viel, wenn viele Autos, und Kreuzungen und so alles.
I: Ja cool, das wär’s dann eigentlich auch schon. Vielen Dank!
S: Kein Problem!
 
Sa, 12/12/2020 - 10:50
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