In Zukunft alles smart?

Schwerpunkt: Kampfzone Berlin

In Zukunft alles smart?

Warum Technologie unsere Städte nicht automatisch intelligenter und demokratischer macht
Andreas Unteidig

Lachende Familien, souveräne Konsumenten, entspannte Berufstätige und dazwischen: Sensoren, unsichtbare Datenströme, die alles regeln – pure Effizienz. Das Auto weiß, wo es zu parken hat, das Geschäft läuft reibungslos, die städtische Versorgung ist wie auch der Verkehr automatisiert, jeder hat unbegrenzten Zugang zu Wissen und die Menschen können endlich glücklich sein und sich auf das Wesentliche konzentrieren. So und so ähnlich erzählen Unternehmen wie Google, Telefonica, Microsoft, Cisco, IBM, Hitachi oder Oracle die Geschichten der städtische Zukunft, der Smart City. Dabei lächeln sie natürlich recht freundlich, sie haben schließlich allen Grund dazu: Während der Markt für „intelligente“ Infrastrukturen sich immer deutlicher auf eine Handvoll Unternehmen verteilt, die die dazugehörigen, gesellschaftlichen Narrative prägen und kommunizieren, schätzt eine Studie des Britischen „Department for Business, Innovation and Skills“ das Budget für Smart-City-Projekte bis 2020 auf 408 Billionen Dollar.

Um  über Stadt zu sprechen, gibt es unzählige Konzepte, Theorien, Bücher, Artikel, Definitionen und Gegendefinitionen. Betrachten wir sie aus der Perspektive des Designs, sollte der Fokus auf das Urbane gerichtet werden, also auf das Leben, welches sich in der Stadt abspielt und welches die Stadt produziert; statt auf die Steine, Straßen und Kabel, aus welchen eine Stadt eben auch besteht, blicken wir auf die Stadt als soziale Praktik, als Produkt der urbanen Gesellschaft. Der US-amerikanische Soziologe Louis Wirth beschrieb eben diese Gesellschaft bereits 1938 als groß, dicht und heterogen – die Stadt also als Ort, an dem eine große Menge unterschiedlichster Menschen und Gruppierungen aufeinandertreffen, mit verschiedenen Hintergründen, Weltanschauungen, Interessen, Ideologien, Wünschen, Bedürfnissen  und Perspektiven. Als Ort, wo diese Menschen, ohne sich zu kennen, permanent miteinander in Kontakt kommen und Wege des gemeinsamen Auskommens finden müssen: das städtische Leben als gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Bazon Brock geht so weit, die Stadt als den Ort zu bezeichnen, an den wir kommen, um uns zu vergewissern, dass die Anderen auch keine Antwort auf die wirklich wichtigen – weil unlösbaren – Probleme kennen. Damit sieht er die Stadt als den Ort der Ungewissheit, des Widerspruchs, der Ambivalenz und der Infragestellung – und damit als Gegenthese zu finalen Antworten, etwa aus der Religion oder der Ideologie.

 

Das heißt nun sicher nicht, dass die Stadt der Ort ist, an welchem das Aushalten dieser Widersprüchlichkeit reibungslos funktioniert, im Gegenteil: Stadt ist Reibung, Spannung und Komplexität, und die Möglichkeit, an den daraus resultierenden Aushandlungsprozessen teilzunehmen, unterliegt ständigen Kämpfen und Hegemonieansprüchen (man denke beispielsweise an die Prozesse um das Tempelhofer Feld in Berlin, die Auseinandersetzungen zum sozialen Wohnungsbau oder die übergeordnete Frage, wieviel Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrechte beispielsweise Geringverdiener, Menschen mit Fluchthintergrund oder anderweitig marginalisierte Gruppen dieser Gesellschaft haben). Eine inhaltliche Klammer, die zur Umschreibung dieser Kämpfe neuerdings wieder öfter genutzt wird, ist das 1968 von Henri Lefebvre formulierte „Recht auf Stadt“, das, grob verkürzt, das Recht bezeichnet, an den Qualitäten und Werde-Prozessen des Städtischen Anteil nehmen zu können. Dieses Recht ist in mannigfaltiger Form der Gegenstand, über welchen in den Städten der Welt, mal gänzlich unterschiedlich, mal recht ähnlich, Kämpfe geführt werden – um bezahlbaren Wohnraum, um Freiflächen für Subkulturen und die Künste, um Bebauungspläne oder um anderweitige Fragen des Zusammenlebens in der städtischen Zukunft. Die Grundlage dieser Kämpfe ist die prinzipielle Unmöglichkeit eines abschließenden, allgemeingültigen Konsenses an einem Ort, an welchem unzählige Leben und Geschichten gleichzeitig stattfinden, gelebt von einer Gruppe von Menschen, die durch die urbanen Attribute groß, dicht und heterogen gekennzeichnet ist – während ein permanentes Bis-auf-Weiteres, ein ständiges Verschieben der Machtfelder Ausdruck demokratischer, ja politischer Prozesse ist.

 

Die Gleichzeitigkeit also, welche die Stadt prägt, erzeugt Spannungen und Reibungen, die wir zu verhandeln suchen, und für eine produktive Verhandlung benötigen wir eine lebendige Öffentlichkeit – oder besser: viele lebendige Öffentlichkeiten, die unabdingbar sind für eine Gesellschaft, die sich selbst als offen, dynamisch, gerecht, lebendig und demokratisch bezeichnen möchte. Im republikanischen Ideal sind Öffentlichkeiten gar der Nukleus jeglicher Idee des Städtischen, in welcher der Bürger sich für die öffentliche Sache, die Res Publica interessiert und entsprechend öffentliche Funktionen übernimmt. Nun hat sich die Art und Weise, wie diese Funktionen performiert werden, stetig und rapide gewandelt: Von der Agora über die Salons und die Massenmedien hin zur rasant steigenden Komplexität unserer heutigen, sich immer weiter urbanisierenden und hypervernetzten Welt. Unsere Gesellschaften wachsen nicht nur im materiellen Sinne zusammen, werden größer, dichter und heterogener – urbaner –, sondern auch in zunehmendem Maße hybrid: gegenständliche, urbane Räume verschmelzen mit virtuellen Ebenen, in welchen der Raum durch Algorithmen vermittelt und koproduziert wird. Städtische Infrastrukturen operieren auf der Basis von Daten, Stadtbewohner bewegen sich und kommunizieren durch Daten und sind unentwegt dabei, Daten zu produzieren. Längst bildet Technologie einen grundlegenden Parameter für die Art und Weise, wie wir wahrnehmen, kommunizieren, uns bewegen, wie wir interagieren und wie unsere politischen Gedanken und Positionen entstehen und sich verändern – gegenwärtig erleben wir nun den Aufschwung des Digitalen zu einer zentralen Einflussgröße in der Produktion urbaner Räume.

 

Bedenken wir unter diesen Gesichtspunkten den eingangs skizzierten Hype um die smarte Stadt in Zusammenhang mit der gleichzeitig stattfindenden Privatisierung des Internets durch mitunter dieselben Unternehmen, drängen sich Fragen auf: offensichtliche Fragen, wie etwa nach Autorschaft, Besitz, nach Zensur, Privatsphäre und Überwachung, aber auch Fragen über Zugänge und Anschlussfähigkeiten. Denn neben der Problematik der Hegemonie, also der Frage, wer welche technosozialen Realitäten erschafft und wer diese leben muss, wer über die Infrastruktur, das Kapital und das Wissen verfügt, und für wen die stumme Nutzung vorgesehen ist, präsentiert sich die Problematik der Exklusion: Wenn mehr und mehr soziale, politische und kulturelle Prozesse digitalisiert werden, müssen wir darüber nachdenken, für wen diese Prozesse gestaltet sind und wer überhaupt teilnehmen kann. Bezeichnungen wie „Digital Strangers“ oder das vielbeschworene „Digital Gap“ fungieren als Überschrift für die verschiedenen Formen der Ausgrenzung, der Trennung zwischen zwei gesellschaftlichen Welten, die der Brite Danny Kruger schon 1997 – damals noch mit Blick auf die steigende Popularität der Kreditkarte – als die Gruppen der „information haves“ und „information have-nots“ bezeichnete, während letztere typischerweise aus den alten, armen und bildungsfernen Mitgliedern einer Gesellschaft besteht.

 

Um den Bogen zurück zur Öffentlichkeit zu spannen, stellen wir uns die tatsächlichen oder imaginären Transformationen im Politischen vor, die uns seit einigen Jahren in der Gestalt von Plattformen wie Adhocracy, Neighborland oder auch der „althergebrachten“ Dienste wie Facebook und Twitter begegnen und nicht nur im Nahen und Mittleren Osten Veränderungen in den Selbstverständnissen von Staatsbürgerinnen evoziert haben. Technologie hat Anteil an einem sich vollziehenden Paradigmenwechsel in gesellschaftspolitischen Prozessen, welche nach neuen, scheinbar informelleren Formen der Organisation suchen, während die tradierten Formen gesellschaftlichen Engagements, wie etwa das Parteibuch, an Bedeutung verlieren. Aber auch diese neuen Paradigmen sind ideologisch vorgeformt, etwa durch Vorstellungen über den Einsatz der besprochenen Technologien, über die Beschaffenheit gesunder Öffentlichkeiten und darüber, wie das städtische Leben verhandelt werden soll – denn so, wie im urbanen Europa des 18. Jahrhunderts das soziale und ökonomische Kapital nötig war, um in den Öffentlichkeiten der Salons, Cafés, Theater und Konferenzen teilzunehmen, brauchen wir heute das entsprechende Kapital, das Wissen und die Infrastruktur, um an den Verheißungen der Techno-Demokratie teilzuhaben.

 

Das Ganze ist also alles andere als unproblematisch und momentan stehen wir als Designerinnen, Technologen, Politikerinnen, Aktivisten oder anderweitig interessierte Mitglieder der Gesellschaft vor den sich verändernden Tatsachen ein wenig wie Carl Spitzwegs‘ „Gnom, Eisenbahn betrachtend“: skeptisch-distanziert, etwas sentimental und hin- und hergerissen zwischen der erwartungsvollen Faszination fürs Neue und der vergeblichen Hoffnung, dass alles wieder ein bisschen so wird, wie man es kannte.

Die gezeichneten Entwicklungen bringen Unmengen an neuen Fragestellungen, Herausforderungen und Möglichkeiten mit sich, an der Gestaltung von Kommunikationstechnologien und den entsprechend vermittelten Interaktionen teilzuhaben. Mit Blick auf die anfangs beschriebenen Narrative, die aus monetären Interessenslagen geprägt vor allen Dingen die Simplifizierung und Effizienzsteigerung – oder, wie Richard Sennett es begreift, geschlossene Systeme – im Blick haben, sollten wir uns mitunter die Frage stellen, wie wir Technologien und technologisch vermittelte Interaktionen derart gestalten können, dass sie die Bildung und Aufrechterhaltung komplexer, offener und pluralistischer Öffentlichkeiten unterstützen. Dabei ist es zunächst beinahe nebensächlich, ob wir der immer vollständigeren technologischen Durchdringung unserer Lebenswelt wohlwollend oder ablehnend gegenüberstehen – angesichts der rapide sich vollziehenden Naturalisierung technologischer Vermittlung sollten wir versuchen, die richtigen Fragen zu stellen, die uns gebotenen Erzählweisen zu dekonstruieren und mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln eigene Narrative entwickeln.

 

Gerade mit Blick auf den wachsenden Einfluss gestalteter Technologie auf die Bildung und Transformation von Öffentlichkeiten ist es wichtig, mit differenziertem Blick zu agieren und nicht ausschließlich kulturpessimistische Positionen zu beziehen, die uns heute ironischerweise am leichtesten fallen. Dafür ist es unabdingbar, die technologische Vermittlung des städtischen Lebens nicht nur aus der Perspektive kapitalistischer Verwertungslogiken und technodeterministischer Effizienzdynamiken zu denken. Dass dieses Denken und der Wunsch nach Handlungsmacht und Autonomie für diejenigen, die in den Städten leben, auch dem Design nicht nur alte und neue, jedenfalls kritische Positionen abverlangt, sondern auch produktive Allianzen etwa mit der Forschung, den bildenden und darstellenden Künsten, der Open-Source-Bewegung und den politischen Initiativen unserer Städte, liegt auf der Hand.

 

Um von der Rhetorik der intelligenten Stadt zu einer Perspektive zu gelangen, in welcher urbane Technologie die Intelligenz von Individuen und Kollektiven fördert und fordert, sollten wir darüber nachdenken und vor allen Dingen genau hinsehen, wie neue, lokale Strukturen geschaffen und gelebt werden können, welche die skizzierten Wandlungsprozesse demokratischer und zugänglicher machen. Denn eine „smarte“ Stadt muss sich permanent aus der sozialen Praxis ihrer Bewohnerinnen hervorbringen, die politisch denken, Autorschaft erleben und ergreifen und an der Produktion ihrer eigenen Lebenswelten teilnehmen.

 

Andreas Unteidig ist Designforscher am Design Research Lab der Universität der Künste in Berlin. Im Projekt MAZI arbeitet er zusammen mit der Nachbarschaftsakademie im Prinzessinnengarten an der Entwicklung lokaler DIY Netzwerktechnologien und fragt, wie die Logiken & Möglichkeiten des Internets als städtisches Gemeingut gedacht werden können: www.maziberlin.net

 

Der Text ist eine gekürzte und überarbeitete Version des Artikels Design im Dunstkreis der Smart City, erschienen im Fast Fwd: Magazin, 2016.

 

Abbildung: Ausschnitt aus Carl Spiztwegs Gnom, Eisenbahn betrachtend.


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