Liebe in Zeiten des technischen Kennenlernens

Schwerpunkt: Märkte

Liebe in Zeiten des technischen Kennenlernens

Wie die Partnerwahl immer marktförmiger wird
Anna-Lena Wenzel

Liebe hat ja auch etwas zutiefst kapitalistisches: Jemanden besitzen, an jemandem festhalten zu wollen und ihn so hinzubiegen, daß er in das eigene Leben paßt. Das ist ja eigentlich etwas ganz Schreckliches, aber trotzdem passiert es immer wieder.

 

Was die Sängerin Bernadette La Hengst hier so treffend auf den Punkt bringt, ist schon länger Untersuchungsgegenstand der Soziologin Eva Illouz. In ihrem Buch „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (2006) zeigt sie, wie Marktterminologie und -technik in den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen eindringen. In „Warum Liebe weh tut“ (2011) führt sie ihre Überlegungen fort und fokussiert die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung, die sich in einem Leiden an der Liebe ausdrücken.

 

Statt das Leiden an der Liebe auf psychologische Störungen in der Kindheit zurückzuführen, verfolgt Illouz einen soziologischen Ansatz. Ihrer Meinung nach wird das Ideal der „romantischen“ Liebe von konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen geformt und hervorgebracht, genauso wie das Leiden an ihr auf gesellschaftliche Institutionen und soziale Modelle zurückzuführen ist. In Form von Literaturbeispielen und zahlreichen Interviews spürt sie den „gesellschaftlichen Verhältnissen“ nach und deckt die zunehmende Marktförmigkeit der Partnerwahl auf, die mit der Moderne einsetzte.

Sie zeigt, wie mit der Moderne eine Radikalisierung der Freiheit und Gleichheit der Liebe beginnt, die mit einer Aufspaltung von Sexualität und Emotionalität einhergeht. Die Kriterien der Wahl verändern sich entscheidend. Die individuelle Liebeswahl wird aus dem moralischen und sozialen Gewebe der Gruppe herausgelöst und es entstehen selbstregulierende Kontaktmärkte. Die Bewertungsmodi potentieller Partner verändern sich: Nicht mehr die Mitgift oder der Stand entscheidet über die Wahl, sondern eine Vielzahl individueller Kriterien; der Wettbewerb ist nun nicht mehr begrenzt auf Klassen oder Gruppen. Das Angebot möglicher Partner, aber auch die Konkurrenz um die begehrenswertesten Partner, steigt enorm. In anderen Worten: Die „kulturelle Grammatik des Kapitalismus“ dringt mit Macht in den Bereich der Beziehungen ein. Eigenschaften des ökonomischen Austausches bestimmen den Wettbewerb: Gesetze von Angebot und Nachfrage, Knappheit und Überangebot verwandeln und strukturieren den menschlichen Willen. Interessant ist, dass Illouz dies auch auf die Ungleichheit der Geschlechter zurückführt und dabei fast klischeehafte Bilder bemüht, die aber scheinbar nicht an Präsenz verloren haben: Ihrer Meinung nach, unterliegen besonders Männer einem Statusdenken, demzufolge eine seriell gelebte Sexualität einen Sieg über andere Männer symbolisiert. Hinzu kommt, dass sich Frauen tendenziell eher binden wollen und damit verfügbarer erscheinen als Männer. Männern kommt damit auf dem Markt die dominierende Rolle zu, denn je knapper ein Gut ist, desto höher sein Wert. Anders formuliert: Je rarer man sich macht, umso attraktiver wird man. Unverfügbarkeit wird zu einem strategisch eingesetzten Mittel, um den eigenen Wert zu bemessen. Diese Entwicklung wird dadurch begünstigt, dass es mit der Moderne einen Wandel der Struktur der Anerkennung gegeben hat: Der eigene Wert wird nicht mehr durch die Klassenzugehörigkeit definiert, sondern ins Selbst verlagert und bedarf der verstärkten Bestätigung durch den/die andere(n).

 

Potenziert zeigt sich der Einfluss des marktförmigen Denkens im Internet: „Das Internet hat sich zu einem Markt entwickelt, in dem man die mit Menschen verbundenen ´Werte` vergleichen und sich für das ´beste Angebot` entscheiden kann. […] Das Internet versetzt jeden, der auf der Suche ist, in einen offenen Markt, in dem er sich in einen offenen Wettbewerb mit anderen befindet.“ (S. 331) Mit der Marktförmigkeit geht die Entkörperlichung einher. Intimität wird nicht bei einer körperlichen und realen Begegnung hergestellt, sondern über sprachlichen Austausch. Durch die Vielzahl der Informationen ist es möglich, sich ein genaues Bild des anderen zu machen. Die zunehmende Diskrepanz zwischen Realität und Erwartung, die durch das Internet begünstigt wird, führt jedoch häufig zu Enttäuschungen, da die realen Begegnungen an den hohen Erwartungen scheitern, die im Vorfeld entstanden sind.

 

Illouz geht es um die Ambivalenzen, die mit der Moderne aufgekommen sind. Ist man einerseits dem Ideal einer Beziehung, die auf freiem Willen, Gleichheit und Symmetrie beruht, nähergekommen, ist gleichzeitig das Leiden an diesen Beziehungsformen gewachsen. So beobachtet Illouz einen Niedergang nichtrationaler Methoden der Partnerwahl, zu denen Mehrdeutigkeit, Verspieltheit und Erotik gehören und in denen die körperliche Präsenz eine größere Rolle spielt. Sie werden abgelöst von einem Vertragsdenken und rationalen Auswahlkriterien. Ihrer Meinung nach befinden wir uns heute in einer Situation, „in der die traditionellen Rituale der sexuellen Interaktion und die Dynamik des sexuellen Begehrens zum Erliegen gebracht worden sind.“ (S. 335). Zudem geht mit der Unbeständigkeit der Beziehungen und der Freiheit der Auswahl eine große Unsicherheit einher, so dass das Leiden an der Liebe zum chronischen Merkmal moderner Lebensläufe geworden ist. Obwohl es sich dabei nicht um ein typisch großstädtisches Phänomen handelt, kann man doch festhalten, das dieses Phänomen in den Städten besonders häufig anzutreffen ist, denn hier wohnen besonders viele Singles und die Offenheit für Onlinepartnerbörsen ist hoch.

Wie singen da tröstend die Lassie Singers: „Liebe wird oft überbewertet/ Liebe ist nicht so wichtig wie man denkt/ Liebe ist nur ein Teilaspekt des Lebens/ und die anderen Teile sind auch nicht schlecht.“

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