Auf der Straße II
Auf der Straße II
Die Spree-Comtesse
Kaiserwetter in Berlin. An den Uferwegen des Landwehrkanals schlendern Leute, vor allem junge, andere spielen Boule oder lesen. Ein älterer Mann stützt sich am Geländer ab und scheint direkt ins Wasser zu schauen. Unterdessen nähert sich das Ausflugsschiff „Spree-Comtesse“, dessen Gäste den Spaziergängern zuwinken. Keiner reagiert.
Nur der ältere Mann scheint einen Wink in ihre Richtung zu machen, der von den Passagieren sofort freundlich erwidert wird. Doch plötzlich, ungefähr auf seiner Höhe angekommen, reißen alle wie auf Knopfdruck den Kopf herum und schauen weg. Der ältere Mann dreht sich jetzt um und torkelt in seinen zerschlissenen Klamotten langsam davon. Sein Reißverschluss ist noch weit geöffnet.
Hannes Obens
Eldorado für Frotteure
In der S-Bahn. Ich beobachte einen jungen Mann, der sich angeregt mit seinem Freund gegenüber unterhält. Neben ihm sitzt ein älterer Herr. Jugendlich gekleidet. Sympathischer Blick.
Er hört augenscheinlich der Unterhaltung zu, guckt aufmerksam von einem zum anderen, bis sein Blick auf seinem Nebenmann ruhen bleibt. Ich bemerke, wie er sich millimeterweise immer näher an den Jungen heranschiebt, sich an ihn heranruckelt. Sein Bein lehnt an dem des Jungen, seine Hand berührt fast wie zufällig dessen Bein. Aus seiner Körperspannung ist zu lesen, dass dies nicht zufällig passiert.Er lächelt. Fühlt sich augenscheinlich wohl.
Der Junge kriegt davon nichts mit, er lässt sich jedenfalls nichts anmerken. Auch sein Freund, der ja die gleiche Perspektive einnimmt wie ich, redet einfach weiter. Ich überlege, ob ich eingreifen soll, aber da der Junge sich nichts anmerken lässt, lasse ich es bleiben. Für den Alten empfinde ich sowohl Abscheu als auch Mitleid. Ich überlege, wie man nennt, was der Mann ist: Ein Frotteur, fällt mir ein als ich aus der Bahn steige. In der Stadt müssen sie sich wohl fühlen.
Anna-Lena Wenzel