1000 Mal gesehen ...
1000 Mal gesehen ...
Text und Fotos: Anna-Lena Wenzel
... 1000 Mal ist nichts passiert...
Manchmal muss erst jemand von weit her kommen, um auf die naheliegendsten Dinge aufmerksam zu machen, da sie uns im Alltag nicht mehr auffallen. Die US-Amerikanerin Emily Moore hat genau das getan. Sie hat ihre Abschlussarbeit am College in Boston über die politischen Wandbilder von Werner Brunner geschrieben, von denen sich mehrere große in Neukölln befinden. Zwar sind die Wandbilder im öffentlichen Raum seit über dreißig Jahren (sic!) immer noch präsent, ihre Geschichte ist jedoch weitgehend vergessen. Emily Moore erzählt ihren Entstehungshintergrund und erläutert, was auf ihnen dargestellt ist. Es handelt sich um Bilder, die zwischen 1981 und 1989 entstanden sind. Das erste Wandbild trägt den Titel Auf der Geschichtsbühne Böhmisch Rixdorfs und befindet sich in der Richardstraße 99. Es ist von der Künstlergruppe Ratgeb gemalt worden, die sich 1977 gegründet hatte und deren Mitglied Brunner war.
Emily Moore schreibt in ihrer Arbeit über das Bild: „Das Gemälde schildert die Geschichte Rixdorfs von der Einwanderung der Hussiten aus Böhmen bis zum Entstehungsjahr des Wandbildes. Die linke Seite des Wandgemäldes zeigt die erste Zwischenniederlassung der tschechischen Glaubensflüchtlinge in Herrnhut in der sächsischen Oberlausitz, ehe sie 1737 in Böhmisch-Rixdorf in Berlin‐Neukölln angesiedelt wurden.“ Sind diese kupfernfarben dargestellt, „wandelt sich die Farbe zu einer lebensechten Tönung und markiert so die Fortführung der Prozession auf der ‚Bühne der Geschichte‘ bis zu den zur Zeit der Entstehung des Wandbildes 1981 in Neukölln lebenden böhmischen Nachfahren“ auf der rechten Seite. Eine dieser Nachfahrinnen hält ein Papier in den Händen, auf dem die Geschichte Rixdorfs erläutert wird. Heute ist das Wandbild von einem neugebauten Einfamilienhaus bedeckt, der Zugang liegt auf Privatgebiet.
Die Künstlergruppe löste sich ein paar Jahre später auf, doch Werner Brunner gründete 1985 eine neue Gruppe – das Atelier Oranienstraße mit der zwei weitere Wandbilder in Neukölln entstanden, die beide noch existieren:
Das erste Wandbild, das in dieser Konstellation entstand, wurde zur 750‐Jahresfeier Berlins 1986 vom Stadtplanungsamt beauftragt und mit Sanierungsgeldern finanziert. Es heißt Von der Eiszeit bis heute und illustriert die Geschichte Neuköllns von links nach rechts, von der Eiszeit bis heute.
„Das Wandbild erzählt die Geschichte Neuköllns in zwei Phasen, die der agrarischen und die der industriellen Zeit. Die linke Hälfte beginnt mit der Vorzeit der Gegend, die durch eine Darstellung eines Mammuts illustriert wird. Die Darstellung dieses Eiszeit-Tiers spielt auf die Entdeckung eines Mammut‐Skeletts bei Ausgrabungen im Stadtpark Neuköllns an. Eine von Feldern umgebene Windmühle steht im Hintergrund oberhalb einer gerahmten Abbildung eines pflügenden Bauern. Auf der rechten Seite des Gemäldes steht eine Reihe von Silhouetten verschiedener Gebäude, die ein ‚Zeichen für die Bauwut der Gründerzeit‘ ist. Diese Gebäude überragen das schräg dargestellte Karstadt-Kaufhaus, dessen Türme 1945gesprengt wurden und das noch heute in modernisierter Form am Hermannplatz steht. Flugblätter, die weiße Rosen zeigen, flattern durch die Luft von der Terrasse des Kaufhauses herab, was auf die antifaschistischen Widerstandskämpfer der Weißen Rose hinweist.“
Das zweite Wandbild thematisiert die Blockade zur Zeit der Wende: Es heißt Rosinenbomber und wurde 1989 fertig gestellt. „Rosinenbomber basiert auf einem Zeitungsfoto von Henry Ries aus der Blockadezeit, das eine West‐Berliner Menschenmenge zeigt, die einem ankommenden Flugzeug entgegenschauen. Der Standort des Wandbildes ist nur wenige Straßen vom Flughafen Tempelhof, wo die Westalliierten Versorgungsmittel für das durch die Sowjetunion von dem Westen abgeschnittene West‐Berlin abgeladen hatten, entfernt. Das Flugzeug und die Menschenmasse wurden mit schwarzen Rasterpunkten gemalt, was die Ästhetik des gedruckten Zeitungsfotos aus dieser Zeit nachahmt. Die zwei bunten, expressionistisch gemalten, fensterartigen Scheinöffnungen wirken als starker Kontrast zu der farblosen Rückansicht der Menschen. In dem bunten, dschungelartigen Gestrüpp, das die linke Hälfte des Wandbildes dominiert, sind ein Krokodil, ein Schmetterling und ein Marienkäfer, vermutlich als Zugeständnis an die kindlichen Betrachter des Wandbildes, versteckt.“
Emily Moores Arbeit über die Wandbilder, an denen Werner Brunner beteiligt war, mit dem Titel Die Künstlergruppe Ratgeb: Die Kunst der Verteidigung des öffentlichen Raumes: Politische Wandbilder in West-Berlin 1979-89, ist hier frei verfügbar. Ein weiterer Artikel über das Wandbild Der Zivilisationsgeschädigte Saniersungbaum gibt es bei Kultur-Mitte. Die Küstlerin Sonya Schöberger hat ein tolles Interview mit Werner Brunner geführt, das hier nachzulesen ist.
Manchmal muss erst jemand von weit her kommen, um auf die naheliegendsten Dinge aufmerksam zu machen, da sie uns im Alltag nicht mehr auffallen. Die US-Amerikanerin Emily Moore hat genau das getan. Sie hat ihre Abschlussarbeit am College in Boston über die politischen Wandbilder von Werner Brunner geschrieben, von denen sich mehrere große in Neukölln befinden. Zwar sind die Wandbilder im öffentlichen Raum seit über dreißig Jahren (sic!) immer noch präsent, ihre Geschichte ist jedoch weitgehend vergessen. Emily Moore erzählt ihren Entstehungshintergrund und erläutert, was auf ihnen dargestellt ist. Es handelt sich um Bilder, die zwischen 1981 und 1989 entstanden sind. Das erste Wandbild trägt den Titel Auf der Geschichtsbühne Böhmisch Rixdorfs und befindet sich in der Richardstraße 99. Es ist von der Künstlergruppe Ratgeb gemalt worden, die sich 1977 gegründet hatte und deren Mitglied Brunner war.
Emily Moore schreibt in ihrer Arbeit über das Bild: „Das Gemälde schildert die Geschichte Rixdorfs von der Einwanderung der Hussiten aus Böhmen bis zum Entstehungsjahr des Wandbildes. Die linke Seite des Wandgemäldes zeigt die erste Zwischenniederlassung der tschechischen Glaubensflüchtlinge in Herrnhut in der sächsischen Oberlausitz, ehe sie 1737 in Böhmisch-Rixdorf in Berlin‐Neukölln angesiedelt wurden.“ Sind diese kupfernfarben dargestellt, „wandelt sich die Farbe zu einer lebensechten Tönung und markiert so die Fortführung der Prozession auf der ‚Bühne der Geschichte‘ bis zu den zur Zeit der Entstehung des Wandbildes 1981 in Neukölln lebenden böhmischen Nachfahren“ auf der rechten Seite. Eine dieser Nachfahrinnen hält ein Papier in den Händen, auf dem die Geschichte Rixdorfs erläutert wird. Heute ist das Wandbild von einem neugebauten Einfamilienhaus bedeckt, der Zugang liegt auf Privatgebiet.
Die Künstlergruppe löste sich ein paar Jahre später auf, doch Werner Brunner gründete 1985 eine neue Gruppe – das Atelier Oranienstraße mit der zwei weitere Wandbilder in Neukölln entstanden, die beide noch existieren:
Das erste Wandbild, das in dieser Konstellation entstand, wurde zur 750‐Jahresfeier Berlins 1986 vom Stadtplanungsamt beauftragt und mit Sanierungsgeldern finanziert. Es heißt Von der Eiszeit bis heute und illustriert die Geschichte Neuköllns von links nach rechts, von der Eiszeit bis heute.
„Das Wandbild erzählt die Geschichte Neuköllns in zwei Phasen, die der agrarischen und die der industriellen Zeit. Die linke Hälfte beginnt mit der Vorzeit der Gegend, die durch eine Darstellung eines Mammuts illustriert wird. Die Darstellung dieses Eiszeit-Tiers spielt auf die Entdeckung eines Mammut‐Skeletts bei Ausgrabungen im Stadtpark Neuköllns an. Eine von Feldern umgebene Windmühle steht im Hintergrund oberhalb einer gerahmten Abbildung eines pflügenden Bauern. Auf der rechten Seite des Gemäldes steht eine Reihe von Silhouetten verschiedener Gebäude, die ein ‚Zeichen für die Bauwut der Gründerzeit‘ ist. Diese Gebäude überragen das schräg dargestellte Karstadt-Kaufhaus, dessen Türme 1945gesprengt wurden und das noch heute in modernisierter Form am Hermannplatz steht. Flugblätter, die weiße Rosen zeigen, flattern durch die Luft von der Terrasse des Kaufhauses herab, was auf die antifaschistischen Widerstandskämpfer der Weißen Rose hinweist.“
Das zweite Wandbild thematisiert die Blockade zur Zeit der Wende: Es heißt Rosinenbomber und wurde 1989 fertig gestellt. „Rosinenbomber basiert auf einem Zeitungsfoto von Henry Ries aus der Blockadezeit, das eine West‐Berliner Menschenmenge zeigt, die einem ankommenden Flugzeug entgegenschauen. Der Standort des Wandbildes ist nur wenige Straßen vom Flughafen Tempelhof, wo die Westalliierten Versorgungsmittel für das durch die Sowjetunion von dem Westen abgeschnittene West‐Berlin abgeladen hatten, entfernt. Das Flugzeug und die Menschenmasse wurden mit schwarzen Rasterpunkten gemalt, was die Ästhetik des gedruckten Zeitungsfotos aus dieser Zeit nachahmt. Die zwei bunten, expressionistisch gemalten, fensterartigen Scheinöffnungen wirken als starker Kontrast zu der farblosen Rückansicht der Menschen. In dem bunten, dschungelartigen Gestrüpp, das die linke Hälfte des Wandbildes dominiert, sind ein Krokodil, ein Schmetterling und ein Marienkäfer, vermutlich als Zugeständnis an die kindlichen Betrachter des Wandbildes, versteckt.“
Emily Moores Arbeit über die Wandbilder, an denen Werner Brunner beteiligt war, mit dem Titel Die Künstlergruppe Ratgeb: Die Kunst der Verteidigung des öffentlichen Raumes: Politische Wandbilder in West-Berlin 1979-89, ist hier frei verfügbar. Ein weiterer Artikel über das Wandbild Der Zivilisationsgeschädigte Saniersungbaum gibt es bei Kultur-Mitte. Die Küstlerin Sonya Schöberger hat ein tolles Interview mit Werner Brunner geführt, das hier nachzulesen ist.