Gegen die Zeit

Schwerpunkt: Brachen

Gegen die Zeit

Eine fotografische Langzeitaufnahme von André Giesemann im Hamburger Baakenhafen
Foto und Film: André Giesemann, Text: Anna-Lena Wenzel
„Trabant“ ist eine Langzeit-Fotografie bzw. Foto-Video-Arbeit des Künstlers André Giesemann, die sich durch einen statischen Blick auszeichnet, der immer dasselbe Motiv festhält: eine Brache und ein Gebäude am Rande eines Neubaugebietes. Weil dieses Motiv über einen längeren Zeitraum fotografiert wird, kann man darauf die Veränderungen des Areals beobachten. Es handelt sich um das Hamburger Neubaugebiet Baakenhafen in der Hafencity. Seit ca. 2016 steht hier eine Geflüchtetenunterkunft, umgeben vom „Nichts“ des ehemaligen Hafengebietes, das sich sukzessive in hochwertiges Bauland verwandelt hat. Ursprünglich als temporär errichteter Übergangsort gedacht, steht das Gebäude, das aus Containern errichtet wurde, weiterhin an seinem Ort, auch weil der Bedarf an kostengünstigen Unterbringungsmöglichkeiten ungebrochen ist. Doch während der improvisierte Charakter anfangs noch zu seiner brachliegenden Umgebung passte, wird das Gebäude zunehmend zu einem Fremdkörper und wird in absehbarer Zeit verdrängt werden. Das vollzieht sich nicht nur räumlich, sondern auch bildlich, wenn sich die Brache in eine Baustelle verwandelt und das neue Haus den Blick auf die Unterkunft verstellen wird, noch bevor es tatsächlich abgerissen wird. Mit dem Foto, das die Außenwand des neu entstehenden Gebäudes im Baakenhafen zeigen wird, wird die Dokumentation enden. Damit wird sich auch der Blick auf die Stadtlandschaft verschließen – was vorher als Bühne fungierte, wird nun durch einen Vorhang begrenzt werden.

André Giesemann fotografiert seit Juli 2017 die Veränderungen immer von demselben Standpunkt aus. Mehrmals monatlich entsteht eine Aufnahme, die in das stetig wachsende Bildarchiv wandert und die Grundlage der seriellen Foto-Video-Arbeit bildet. Dabei legt er die Fotos so auf- bzw. morpht sie so ineinander, dass eine langsame Veränderung sichtbar wird. haben. Ergänzt wird die Filmarbeit durch großformatige Prints, die der Künstler mit einer 4x5 Inch Großformatkamera auf Negativ erstellt. Diese analogen Aufnahmen fertigt er in unregelmäßigen Abständen an; sie stellen die langsamen Veränderungen still, die der Film im Zeitraffer so wunderbar erfahrbar macht.




 
Kurzbeiträge

Einwürfe

Vom Rande aus: Kamen Esra Canpalat geht dem "Am Rande sein" im doppelten Sinn nach - in der Peripherie der Ruhrgebiets und im Gefühl des Nicht-Dazugehörens.
50% Urban Anna-Lena Wenzel berichtet von einer einwöchigen Sommerschule zum Thema Transformation in Motion.
Zwischen Laternen und Flaggen Ein Essayfragment von Marco Oliveri über das fragile Konstrukt Nachbarschaft

Fundsachen

Gefährten* Eine Serie von Stoffbeuteln, hergestellt aus Stoffen aus der VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt, fotografiert von Lysann Nemeth.
Malheur Couleur Die Farbe Weiß weckt zuallererst Assozia
Sechser Inflationär verbreitet: gepinselte Sechsen auf temporärem Stadtmobiliar. 

Straßenszenen

Berliner Trümmerberge Eine Recherche zu den Berliner Trümmerbergen von Karoline Böttcher mit einem Text von Luise Meier. 
Kabinett Gallery Die Kabinett Gallery nutzt ausgediente Kaugummiautomaten als Ausstellungsflächen im öffentlichen Raum
Zu Gast im 24. Stock Algisa Peschel, Stadtplanerin und eine der Erstbewohnerinnen des DDR-Wohnkomplexes in der Berliner Leipziger Straße lädt zu sich nach Hause ein.

So klingt

die Platte Zwei Songtexte von WK13 und Joe Rilla bringen die Ost-Plattenbauten zum Klingen
der Görlitzer Park K.I.Z. rappt über den Görlitzer Park.
Pedestrian Masala Field-Recordings von Andi Otto aus Bangalore, Südindien.

So lebt

Sorge „Sorge“: meine Platte, meine Heimat,
(e) es sich in der Schule der Arbeit Ute Richter deckt mit ihrer künstlerischen Forschung ein vergesenes Kapitel der emanzipatorischen Erwachsenenbildung in Leipzig auf.
man nicht mehr im Prenzlauer Berg Das war einmal: der Prenzlauer Berg im Jahr 1991, erinnert von Jo Preußler