Das Louisiana-Land in Berlin-Marzahn

Das Louisiana-Land in Berlin-Marzahn

Text und Fotos: Marcel Bode

Das Louisiana-Land lockt seine Besucher im Internet mit „nostalgischen Fahrgeschäften“, „supermodernen Hüpfburgen“ und „leckerem Essen“. Und das alles zu „günstigen Preisen“ mit „Flatrate-Tickets für alle Karussells und Hüpfburgen“.

Fotos fröhlicher Kindergesichter versprechen ein Eldorado der Ausgelassenheit.

Einen solchen Hot Spot suburbaner Kinderunterhaltung wollte ich mir und meinem zweieinhalbjährigen Sohn natürlich nicht entgehen lassen.

An einem grauen Sonntag im Oktober statteten wir dem Louisiana-Land einen Besuch ab.

 

Keine Enttäuschung trotz falscher Versprechungen

 

Schon der Standort des Parks lässt bei vielen Hauptstädtern sämtliche Alarmglocken läuten. Das Gelände befindet sich im tiefsten Marzahn, an der S-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße. Selbst wer diesem Teil der Stadt unvoreingenommen gegenübersteht, verbindet mit der Gegend nicht gerade Erholung oder Freizeitspaß. Östlich der S-Bahn-Station verläuft die sechsspurige Märkische Allee, an die sich ein langes Band zehngeschossiger Neubauten anschließt.

 

Auch die andere Seite des Bahnhofs wirkt nicht einladender. Als wir dort dem Weg Richtung Parkgelände folgen, passieren wir zuerst ein Begegnungszentrum für sozial gefährdete Jugendliche und danach eine Reihe von leer stehenden Gebäuden, bei denen die Fenster kaputt und die Türen vernagelt sind. Sollte sich hier wirklich ein Freizeitpark für Kinder befinden? Es sollte. Direkt hinter dem vor uns befindlichen Obdachlosenheim blitzt plötzlich ein Kettenkarussell auf. Dort, neben dem Wohnblock mit den Flüchtlingsunterkünften, stoßen wir auf den Louisiana-Land-Freizeitpark.

 

Das leicht zu überblickende Gelände des Parks besteht aus einem Zirkuszelt mit mehreren Hüpfburgen, zwei Imbiss-Hütten und den sechs als „nostalgisch“ angepriesenen Fahrgeschäften. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nostalgisch hier eher ein Euphemismus für abgenutzt ist. Die Attraktionen des „Antik-Rummels“ haben ihre besten Tage längst hinter sich. Doch trotz des dreisten Etikettenschwindels der Louisiana-Land-Betreiber stellen sich bei mir tatsächlich nostalgische Gefühle ein. Erinnerungen an Kindheitstage werden wach, als der Spreepark Berlin im Treptower Plänterwald das Disneyland der halbwüchsigen Berliner und Brandenburger war. Aus den Restbeständen dieses Vergnügungsparks scheinen die Fahrgeschäfte des Louisiana-Land zusammengesammelt worden zu sein.

 

Tatsächlich hat beim Louisiana-Land ein Mann seine Finger im Spiel, der für viele Berliner kein Unbekannter ist: Norbert Witte. Witte übernahm 1991 vom Senat die Überreste des VEB Kulturpark Berlin und eröffnete an dessen Standort den Spreepark Berlin, den er bis zur Insolvenz im Jahr 2001 betrieb. Doch statt sich dem Insolvenzverfahren zu stellen, baute Witte die modernsten Fahrgeschäfte des Parks ab und floh mit diesen und seiner Familie nach Peru. Es folgten eine weitere Freizeitpark-Pleite, Schulden in Millionenhöhe, ein aufgeflogener Kokainschmuggel und Gefängnisstrafen für Norbert Witte und seinen Sohn Marcel. Mit dem Dokumentarfilm „Achterbahn“ widmete der Regisseur Peter Dörfler der tragischen Lebensgeschichte der Familie Witte ein filmisches Denkmal.

 

Während Marcel Witte bis zum Sankt Nimmerleinstag in einem überfüllten südamerikanischen Knast versauert, wurde sein Vater im Jahre 2008 aus der JVA Düppel entlassen. Mit dem Louisiana-Land versucht er nun gemeinsam mit seinem Schwiegersohn wieder im Schaustellergeschäft Fuß zu fassen.

 

Good Vibrations trotz Low-Budget 

 

Bedient werden die aus dem Spreepark akquirierten Karussells von jungen Männern, die zwar kein Deutsch sprechen, aber ausnahmslos sehr freundlich und zuvorkommend sind.  Für die geschätzten 15 Kinder, die an diesem Sonntagnachmittag mit mir und meinem Sohn das Louisiana-Land besuchen, scheint weder die angesprochene Sprachbarriere noch der diskutable Zustand der Fahrgeschäfte ein Problem zu sein. Müssen die Kinder in anderen Parks anstehen, laufen die Karussells hier in der Regel ganz für sie allein. Ein Passagier pro Karussell scheint im Louisiana-Land eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Und auch die anwesenden Eltern scheinen sich mit dem deprimierenden Anblick des Geländes zu arrangieren. Wo in der Stadt können die lieben Kleinen schon für 7,50 Euro den ganzen Tag Karussell fahren?  

 

Mein Sohn hat ebenfalls seinen Spaß. Er kann den ganzen Nachmittag lang Kettenkarussell und Kinderriesenrad fahren, ohne dass Papa ihn nach Blick ins Portemonnaie weinend von den Fahrgeschäften zerren muss. Wer Karussell-begeisterten Nachwuchs hat, niedrigpreisige Freizeitbeschäftigungen präferiert und offen für Milieus am Rande der urbanen Spaßgesellschaft ist, dem sei ein Besuch im Louisiana-Land wärmstens ans Herz gelegt. Wir jedenfalls kommen wieder. Vielleicht erschließt sich mir dann auch, was der Park mit dem US-Bundesstaat Louisiana gemeinsam hat, den ich in erster Linie mit Südstaatenromantik und Jazzmusik verbinde.

 

Empfohlen sei an dieser Stelle noch, die Hüpfburgen im Zirkuszelt vor Einbruch der Dunkelheit zu besuchen. Die schlechte Beleuchtung des Zeltes macht es schwer, nicht über die dort auf dem Boden liegenden Starkstromkabel zu stolpern.   

In diesem Sinne: Viel Spaß im Louisiana-Land!


Louisiana-Land: http://www.lo-land.de

Dokumentarfilm: "Achterbahn": http://www.achterbahn-der-film.de

Anmerkung der Redaktion (April 2015): Das Louisiana-Land ist nach unseren Kenntnissen inzwischen geschlossen.

So, 11/09/2014 - 14:05
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