body public space (how to meet in distance)
body public space (how to meet in distance)
Interventionen und Reflexionen von TheatreFragile
Text und Fotos: TheatreFragile
In den ersten Wochen der Pandemie schreibt der Fonds Darstellende Künste das Förderprogramm #takecare aus. Wie alle anderen auch, stehen wir in diesem Frühling 2020 mit unseren Projekten in der Schwebe, erleben die ersten Transformationen unseres Umfeldes. Unser Arbeitsalltag resümiert sich auf die Abwicklung der Absagen.
Das Förderprogramm #takecare und das Projekt „body public space (how to meet in distance)“ wurde der erste Schritt hin zu einer Veränderung unserer Arbeitsweise. Draußen passiert die größte Umstellung unseres Lebens und zugleich ist alles still. Neben Kinderbetreuung und Homeschooling können wir uns dank der Förderung Zeit für Recherche und Reflexion nehmen. Eine Zeit, die uns sonst immer gefehlt hat.
Wir nehmen uns Themen vor, die uns immer begleitet haben und die jetzt im Zentrum der Corona-Krise stehen: der öffentlicher Raum und der Körper, beide sind nun mit Restriktion belegt. In der Krise ist es so, als würde man die Schatten dieser Themen betrachten und dabei das Fleischige, das wahre Wesen, die Werte dahinter, besser verstehen können.
Das physische Spiel der Körper mit dem öffentlichen Raum sind die Basis der künstlerischen Arbeit TheatreFragiles. Der öffentliche Raum bietet die Möglichkeit, mit emanzipatorischer Kraft drängende Fragen physisch als Gesellschaft zu thematisieren.
Jede Woche treffen wir uns online, um uns mit den Fragen zu beschäftigen, die die aktuelle Situation mit ihren restriktiven Bedingungen mit sich bringt: Welche Auswirkung hat das physical distancing auf szenische und performative Formate im öffentlichen Raum, auf das Publikum und auf unsere Arbeitsweise? Welche Formate sind jetzt relevant und möglich? Was für Alternativen bietet der digitale Raum?
Schreiben, obwohl wir nicht schreiben
Wir suchen nach neuen Wegen, unsere Arbeit zu denken, zu reflektieren und zu gestalten. Am Ende jedes digitalen Treffens nehmen wir uns zehn Minuten Zeit, um frei zu schreiben. Unsere Gedanken treffen sich anschließend als Schnipsel auf dem Tisch. Dabei kommt zur Sprache, was uns aktuell beschäftigt: die Veränderungen durch das digitale Begegnungsformat, die schwer greifbaren Veränderungen auf der Straße, das Privatleben, das unmittelbarer präsent ist, wenn es an die Tür klopft.
Das Online-Arbeiten zwingt uns, neue Kommunikationswege und Kreativitätsformate zu erfinden. Es herrscht eine andere Zeitlichkeit. Die Zeit ist begrenzter, aber auch kondensierter.
Reflexion
Wir nehmen die stillgestellte Situation zum Anlass, uns grundsätzliche Fragen zu unserer Praxis zu stellen. Die Krise ermöglicht uns, radikaler und freier zu sein, weg von dem frontalen Theater-Erlebnis, das wir ohnehin immer versucht haben, durch die Reibung mit dem öffentlichen Raum und seiner komplexen Szenerie explodieren zu lassen.
Neue/alte Fragen:
Wie können wir Begegnungen initiieren, die sonst nicht stattfinden?
Wie können wir unter den aktuellen Bedingungen Resonanz herstellen?
Wie wollen wir berühren?
Interventionen – work in progress
Im Juli können wir die im März unterbrochene Produktion „ARE YOU READY?“ in Detmold, wo unsere Produktionsstätte liegt, fortsetzen. Wir greifen dabei auf Methoden zurück, die wir im Rahmen von „body public space (how to meet in distance)“ entwickelt haben und diskutieren neue Formate: kurze Interventionen, Umnutzung des Stadtmobiliars, installative Elemente und partizipative Situationen. Wir passen die Intervention an die Corona-Einschränkungen und an die Auflagen des Ordnungsamtes an: sie sind nur von kurzer Dauer, es gibt keinen direkten Kontakt zum Publikum und es gibt keine Ankündigung, um Menschenansammlungen zu vermeiden.
Es ist ein fortlaufender Überarbeitungsprozess, ein Reagieren auf die sich ständig verändernde Ausgangssituation, denn vor Ort realisieren wir, dass zwischen unseren Vorstellungen und der Realität teilweise eine Lücke klafft.
Es sind kurze unangekündigte Aktionen, die wir entwickeln, Interventionen, die eine Irritation am Ort und an den Passanten bewirken. Die verschiedenen künstlerischen Mittel stellen kleine Hindernisse dar und unterbrechen den gewohnten Gang.
Von Juli 2020 bis September 2021 experimentieren wir mit den Projekten „body public space“, „von hier aus“ und „Resonanzen“ mit dem Raum und unseren künstlerischen Mitteln. Stets geleitet von den Fragen: Was können wir jetzt aufführen? Wie können wir mit den Menschen in Kontakt treten? Wie können wir unsere künstlerische Aktivität fortsetzen?
Wir stehen vor dem Paradox, dass wir die Interventionen nicht ankündigen, um Publikumsandrang zu vermeiden, dieses Publikum aber brauchen, damit die Interventionen existieren können. Wir stoßen an unseren Grenzen und lernen dabei. Wir realisieren, wie wichtig es ist, die Orte, an denen wir intervenieren, genau anzuschauen. Welche Menschen gehen zu welcher Zeit wohin? Wie bewegen sie sich auf ihrem Weg? Haben sie Zeit/ Offenheit angesprochen zu werden oder sich irritieren zu lassen?
Wir halten fest: Die Voraussetzung für ein Nachhallen der Intervention in Raum und beim Publikum ist die präzise Komposition von Ort und künstlerischem Eingriff.
In den Gesprächen, die wir führen, wird deutlich, wie sehr der öffentliche Raum als Begegnungsort zerbröckelt ist. Wir suchen dennoch Wege, damit Austausch und Begegnung stattfinden können: Wir stellen Liegestühle hin, initiieren Diskos an Straßenkreuzungen, spielen, interagieren, laden ein, plakatieren Figuren aus unseren ehemaligen Inszenierungen an Fassaden. Im Oktober 2020 kleben wir pinke Linien an verschiedenen Orten im Abstand von 1,50 Metern wiederholt ad libitum und ad absurdum. Mit Fragen regen wir die Passanten an, über die Transformationen des öffentlichen Raums nachzudenken. Ende September 2021 benutzen wir dasselbe Klebeband, um Kreise auf den Asphalt zu zeichnen und Stühle darauf zu stellen. Eine Maskenfigur interagiert mit den Passanten an und lädt sie zum Spielen oder zum Verweilen ein. Mit Klängen aus dem Meer irritieren wir die Passanten und spielen mit ihrem (und unserem) Fernweh.
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Der Text ist eine überarbeitete und aktualisierte Version der auf der Webseite erschienenen Dokumentation des Projektes „body public space“. Die Fotos zeigen die Intervention „Resonanzen“.
„von hier aus“ wurde vom Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR #takethat / take care Recherche-Förderung unterstützt. Das Projekt „Resonanzen“ wurde durch den Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR #takethat #takeaction und vom Kulturteam Detmold unterstützt.
Das Förderprogramm #takecare und das Projekt „body public space (how to meet in distance)“ wurde der erste Schritt hin zu einer Veränderung unserer Arbeitsweise. Draußen passiert die größte Umstellung unseres Lebens und zugleich ist alles still. Neben Kinderbetreuung und Homeschooling können wir uns dank der Förderung Zeit für Recherche und Reflexion nehmen. Eine Zeit, die uns sonst immer gefehlt hat.
Wir nehmen uns Themen vor, die uns immer begleitet haben und die jetzt im Zentrum der Corona-Krise stehen: der öffentlicher Raum und der Körper, beide sind nun mit Restriktion belegt. In der Krise ist es so, als würde man die Schatten dieser Themen betrachten und dabei das Fleischige, das wahre Wesen, die Werte dahinter, besser verstehen können.
Das physische Spiel der Körper mit dem öffentlichen Raum sind die Basis der künstlerischen Arbeit TheatreFragiles. Der öffentliche Raum bietet die Möglichkeit, mit emanzipatorischer Kraft drängende Fragen physisch als Gesellschaft zu thematisieren.
Jede Woche treffen wir uns online, um uns mit den Fragen zu beschäftigen, die die aktuelle Situation mit ihren restriktiven Bedingungen mit sich bringt: Welche Auswirkung hat das physical distancing auf szenische und performative Formate im öffentlichen Raum, auf das Publikum und auf unsere Arbeitsweise? Welche Formate sind jetzt relevant und möglich? Was für Alternativen bietet der digitale Raum?
Schreiben, obwohl wir nicht schreiben
Wir suchen nach neuen Wegen, unsere Arbeit zu denken, zu reflektieren und zu gestalten. Am Ende jedes digitalen Treffens nehmen wir uns zehn Minuten Zeit, um frei zu schreiben. Unsere Gedanken treffen sich anschließend als Schnipsel auf dem Tisch. Dabei kommt zur Sprache, was uns aktuell beschäftigt: die Veränderungen durch das digitale Begegnungsformat, die schwer greifbaren Veränderungen auf der Straße, das Privatleben, das unmittelbarer präsent ist, wenn es an die Tür klopft.
Das Online-Arbeiten zwingt uns, neue Kommunikationswege und Kreativitätsformate zu erfinden. Es herrscht eine andere Zeitlichkeit. Die Zeit ist begrenzter, aber auch kondensierter.
Reflexion
Wir nehmen die stillgestellte Situation zum Anlass, uns grundsätzliche Fragen zu unserer Praxis zu stellen. Die Krise ermöglicht uns, radikaler und freier zu sein, weg von dem frontalen Theater-Erlebnis, das wir ohnehin immer versucht haben, durch die Reibung mit dem öffentlichen Raum und seiner komplexen Szenerie explodieren zu lassen.
Neue/alte Fragen:
Wie können wir Begegnungen initiieren, die sonst nicht stattfinden?
Wie können wir unter den aktuellen Bedingungen Resonanz herstellen?
Wie wollen wir berühren?
Interventionen – work in progress
Im Juli können wir die im März unterbrochene Produktion „ARE YOU READY?“ in Detmold, wo unsere Produktionsstätte liegt, fortsetzen. Wir greifen dabei auf Methoden zurück, die wir im Rahmen von „body public space (how to meet in distance)“ entwickelt haben und diskutieren neue Formate: kurze Interventionen, Umnutzung des Stadtmobiliars, installative Elemente und partizipative Situationen. Wir passen die Intervention an die Corona-Einschränkungen und an die Auflagen des Ordnungsamtes an: sie sind nur von kurzer Dauer, es gibt keinen direkten Kontakt zum Publikum und es gibt keine Ankündigung, um Menschenansammlungen zu vermeiden.
Es ist ein fortlaufender Überarbeitungsprozess, ein Reagieren auf die sich ständig verändernde Ausgangssituation, denn vor Ort realisieren wir, dass zwischen unseren Vorstellungen und der Realität teilweise eine Lücke klafft.
Es sind kurze unangekündigte Aktionen, die wir entwickeln, Interventionen, die eine Irritation am Ort und an den Passanten bewirken. Die verschiedenen künstlerischen Mittel stellen kleine Hindernisse dar und unterbrechen den gewohnten Gang.
Von Juli 2020 bis September 2021 experimentieren wir mit den Projekten „body public space“, „von hier aus“ und „Resonanzen“ mit dem Raum und unseren künstlerischen Mitteln. Stets geleitet von den Fragen: Was können wir jetzt aufführen? Wie können wir mit den Menschen in Kontakt treten? Wie können wir unsere künstlerische Aktivität fortsetzen?
Wir stehen vor dem Paradox, dass wir die Interventionen nicht ankündigen, um Publikumsandrang zu vermeiden, dieses Publikum aber brauchen, damit die Interventionen existieren können. Wir stoßen an unseren Grenzen und lernen dabei. Wir realisieren, wie wichtig es ist, die Orte, an denen wir intervenieren, genau anzuschauen. Welche Menschen gehen zu welcher Zeit wohin? Wie bewegen sie sich auf ihrem Weg? Haben sie Zeit/ Offenheit angesprochen zu werden oder sich irritieren zu lassen?
Wir halten fest: Die Voraussetzung für ein Nachhallen der Intervention in Raum und beim Publikum ist die präzise Komposition von Ort und künstlerischem Eingriff.
In den Gesprächen, die wir führen, wird deutlich, wie sehr der öffentliche Raum als Begegnungsort zerbröckelt ist. Wir suchen dennoch Wege, damit Austausch und Begegnung stattfinden können: Wir stellen Liegestühle hin, initiieren Diskos an Straßenkreuzungen, spielen, interagieren, laden ein, plakatieren Figuren aus unseren ehemaligen Inszenierungen an Fassaden. Im Oktober 2020 kleben wir pinke Linien an verschiedenen Orten im Abstand von 1,50 Metern wiederholt ad libitum und ad absurdum. Mit Fragen regen wir die Passanten an, über die Transformationen des öffentlichen Raums nachzudenken. Ende September 2021 benutzen wir dasselbe Klebeband, um Kreise auf den Asphalt zu zeichnen und Stühle darauf zu stellen. Eine Maskenfigur interagiert mit den Passanten an und lädt sie zum Spielen oder zum Verweilen ein. Mit Klängen aus dem Meer irritieren wir die Passanten und spielen mit ihrem (und unserem) Fernweh.
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Der Text ist eine überarbeitete und aktualisierte Version der auf der Webseite erschienenen Dokumentation des Projektes „body public space“. Die Fotos zeigen die Intervention „Resonanzen“.
„von hier aus“ wurde vom Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR #takethat / take care Recherche-Förderung unterstützt. Das Projekt „Resonanzen“ wurde durch den Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR #takethat #takeaction und vom Kulturteam Detmold unterstützt.