Aus der Zeit gefallene Orte: Berlin - geteilte Stadt
Aus der Zeit gefallene Orte: Berlin - geteilte Stadt
Fotos: Chris John Dewitt, Text: Bude/Munk/Wieland
„Wir lebten inmitten eines Rings aus Beton. Heller Beton, Platte an Platte drei Meter sechzig hoch, mit einem aufgesetzten Wulst an der Oberkante. Meter um Meter kroch der Wulst durch die Stadt, durchschnitt Straßen, Plätze und Häuser. Das war die Mauer von Berlin, ein Wall wie aus einer anderen Zeit, fast lächerlich anzusehen. Es war der Wulst, der die Mauer so obszön machte. Der Wulst bot den Flüchtenden, die es bin dahin geschafft hatten, keinen Halt. Sie rutschten ab und waren verloren.
In der Sonne sah die Mauer von Westen wie ein langer weißer Engerling aus. Viele hatten sich die Mauer mächtiger und höher vorgestellt. Doch das Bedrohliche barg sie auf der Rückseite. Die Mauer war keine ungeschützte Wand, eine zweite Mauer oder manchmal ein Zaun lief parallel rund um die Westsektoren und schloss einen breiten Streifen Land mit ein. Grasflächen, unter denen sich Minen versteckten, fein gerechter Sand, auf dem jeder Fußabdruck zu sehen war, Wachtürme, Spanische Reiter, Schäferhunde, in kurzen Abständen gesetzte Bogenleuchten und asphaltierte Wege für die wachhabenden Soldaten mit Schießbefehl: Ein Todesstreifen, an dessen Perfektionierung stetig geforscht und gearbeitet wurde, zog sich durch die Stadt. Das zum ersten Mal zu sehen, von den kleinen Plattformen der Aussichtsplattforme aus, war verblüffend. Diese Holztürme standen entlang der Mauer auf der Westseite, wo sie an besonders abenteuerlichen Stellen zum schaulustigen Blick nach drüber einluden. Die Nachrichten über DDR-Bürger, die über den Todesstreifen von Ost nach West zu fliehen versuchten, tauchten mittlerweile beinahe unbemerkt in den Zeitungen auf. Zwischen 1961 und 1989 ließen 140 davon ihr Leben. Sie erlitten tödliche Unfälle, wurden von den Grenzsoldaten erschossen oder aber begingen, als sie entdeckt wurden, Selbstmord. Nur die spektakulären Fälle behielt man auf Westseite für länger als einen Tag im Gedächtnis. Die Mauer war ein Faktum, das keinen Zweifel ließ.“
Heinz Bude, Bettina Munk, Karin Wieland: Aufprall, München, Hanser 2020, S. 13f.
Fotos: Chris John Dewitt: "I was born in Trinidad, and formerly worked for the BBC and ITV in England, and for TV in The Netherlands. Anyone may use my pictures for small-scale projects, no fee necessary."
In der Sonne sah die Mauer von Westen wie ein langer weißer Engerling aus. Viele hatten sich die Mauer mächtiger und höher vorgestellt. Doch das Bedrohliche barg sie auf der Rückseite. Die Mauer war keine ungeschützte Wand, eine zweite Mauer oder manchmal ein Zaun lief parallel rund um die Westsektoren und schloss einen breiten Streifen Land mit ein. Grasflächen, unter denen sich Minen versteckten, fein gerechter Sand, auf dem jeder Fußabdruck zu sehen war, Wachtürme, Spanische Reiter, Schäferhunde, in kurzen Abständen gesetzte Bogenleuchten und asphaltierte Wege für die wachhabenden Soldaten mit Schießbefehl: Ein Todesstreifen, an dessen Perfektionierung stetig geforscht und gearbeitet wurde, zog sich durch die Stadt. Das zum ersten Mal zu sehen, von den kleinen Plattformen der Aussichtsplattforme aus, war verblüffend. Diese Holztürme standen entlang der Mauer auf der Westseite, wo sie an besonders abenteuerlichen Stellen zum schaulustigen Blick nach drüber einluden. Die Nachrichten über DDR-Bürger, die über den Todesstreifen von Ost nach West zu fliehen versuchten, tauchten mittlerweile beinahe unbemerkt in den Zeitungen auf. Zwischen 1961 und 1989 ließen 140 davon ihr Leben. Sie erlitten tödliche Unfälle, wurden von den Grenzsoldaten erschossen oder aber begingen, als sie entdeckt wurden, Selbstmord. Nur die spektakulären Fälle behielt man auf Westseite für länger als einen Tag im Gedächtnis. Die Mauer war ein Faktum, das keinen Zweifel ließ.“
Heinz Bude, Bettina Munk, Karin Wieland: Aufprall, München, Hanser 2020, S. 13f.
Fotos: Chris John Dewitt: "I was born in Trinidad, and formerly worked for the BBC and ITV in England, and for TV in The Netherlands. Anyone may use my pictures for small-scale projects, no fee necessary."