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Schwerpunkt: Obdachlos

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Eine Bilderstrecke von MOKI

Ein Interview über die Serie Shelter mit der Künstlerin moki von Anika Heusermann

 

AH: Auf deinen Bildern sieht man zelt- und hüttenartige Konstruktionen, gebaut aus Holzplatten, Brettern, Pappen, Kisten, Planen, Stoffen – einige fragil und provisorisch, andere stabil mit Tür und Fenster ausgestattet. Deine Bilder-Reihe heißt Shelter, also Schutz oder auch Zuflucht. Was hat dich da interessiert?

 

moki: In Shelter untersuche ich Formen und Variationen des Sich-Verbergens, Abschirmens und Verhüllens und das darin offenbar werdende Bedürfnis, sich einen eigenen Raum zu schaffen und sich darin sicher fühlen zu können. Das hat für mich verschiedene Facetten, deshalb wollte ich es auch thematisch auffächern und habe mir die Frage gestellt, was ist eigentlich ein Schutzraum? Wie weit reicht dieser? Der Mensch habe drei Häute, meinte der Künstler Hundertwasser. Er werde in der ersten geboren, die zweite sei sein Kleid und die dritte die Fassade seines Hauses. Man kann dieses Bild erweitern um das soziale Umfeld, in dem sich der Mensch bewegt, also Familie und Freunde. In der Bilder-Reihe findet man daher Darstellungen von Orten und Gebilden, die rein physisch Zuflucht und Unterschlupf gewähren, wie Hütten oder Masken, Hüllen und Kleidung, aber auch Darstellungen eines sozialen Schutzraums, der sich zum Beispiel durch die Geborgenheit in einer Gruppe manifestieren kann. Man sieht auch Körperhaltungen, die Formen von Schutz und Behausung bieten, wie das Kauern, das Sich-Zusammenrollen oder auch einfach nur das Augenschließen.

 

AH: Das ist eine teilweise recht weite Bewegung, vom selbst gewählten Rückzugsort im Baumhaus bis hin zu Bildern, die stärker das Moment von Notwendigkeit sich einen Schutzraum zu schaffen ansprechen: Es gibt ja eine ganze Reihe von Bildern, die motivisch auf dein konkretes soziales großstädtisches Umfeld in Hamburg und Berlin zurückgehen, Menschen, die mit einem Einkaufswagen mit ihrem Hab und Gut umherziehen, Menschen auf der Parkbank...War das ein wichtiger Impuls für die Shelter-Reihe?

 

moki: Ich wohne in Berlin nahe des Oranienplatzes, wo Flüchtlinge eine Zeit lang in selbst errichteten Hütten und Zelten gelebt haben. Die Hütten waren größtenteils aus dem errichtet, was die Menschen auf der Straße gefunden hatten, recycelte Materialien wie Plastikplanen, Holzplatten, Matratzen, Stoffreste – ein Patchwork aus unterschiedlichen Oberflächen. Was die Flächen und Wände dieser zum Teil wirklich beeindruckenden improvisierten Gebilde schufen, war ein privater Raum, ein Rückzugsort. Durch die Erschaffung einer Grenze entsteht eine Dialektik von Drinnen und Draußen, und diese Spannung hat mich interessiert.

Diese hüttenartigen Konstruktionen sind Inbegriff der Bedürfnisse der Zufluchtsuchenden, aber sie zeigen auch die Kreativität, die durch Mangel und die Reduktion auf vorgefundene Materialien entstehen kann. Dingen, die aus recycelten Materialen angefertigt werden, haftet eine verborgene Schönheit an. Es ist, als wohne ihnen eine Sehnsucht inne, ein unbedingter Willen etwas schaffen zu wollen und es schaffen zu können, gleich welche Mittel zur Verfügung stehen.

 

AH: Wo findest du die Bilder und Bildmotive?

 

moki: Ich finde ständig Bildmaterial, das ich aufbewahren möchte – zum überwiegenden Teil recherchiere ich im Internet, aber ich finde es auch wichtig, mit der Kamera auf der Straße unterwegs zu sein. Bevor ich eine Reihe anfange, gibt es also immer schon Bilder, auf die ich zurückgreife und die ich dann neu zusammenführe. Den Ordner Shelter befüllen sehr unterschiedliche Bildsujets: von der verhüllten Nähmaschine bis zum Fettsüchtigen, vom Protestierenden des Arabischen Frühlings mit selbst gebasteltem Kopfschutz bis hin zum Designereinkaufswagen, welcher sich im Handumdrehen in einen Schlafplatz für Obdachsuchende verwandeln lässt. Ein ziemliches Durcheinander könnte man meinen, aber für mich gibt es ein Leitmotiv, welches alles zusammenhält.

Viele der Motive aus Shelter gehen auf konkrete Begegnungen mit Obdachsuchenden und Flüchtlingen zurück, bei denen ich manchmal den direkten Kontakt gesucht und die Personen portraitiert habe. Andere Male habe ich unbemerkt ein Foto gemacht. Darüber hinaus gibt es Freunde, die wissen, womit ich mich befasse und die mir ganz bewusst Bilder schicken. So bekam ich zum Beispiel zu dem Foto einer obdachlosen Frau aus Kreuzberg, die sich in farbige Stofffetzen wickelt, welche sie kunstvoll knotet und dann abzupft und verbrennt. Ich inszeniere auch Motive, wenn ich keine passenden Vorlagen finden kann.

 

AH: Spielt es eine Rolle für dich, dass du weißt, wann, wie und wo das Bild entstanden ist? Wenn du eine alte Malerei aufgreifst oder ein Foto selber gemacht hast bzw. dir jemand ein Foto zugeschickt hat, weißt du ja meist viel mehr über den Entstehungskontext, als wenn du ein Bild im Internet gefunden hast.

 

moki: Wichtiger als der Hintergrund ist für mich die Idee, die das Bild vermittelt. Der Hintergrund geht meist durch meine Überarbeitung und die neue Zusammenstellung verloren. Die Zusammenstellung von Bildinhalten unterschiedlichster Herkunft, diese neu zu arrangieren, zu überarbeiten und in einen neuen Gesamtkontext zu stellen ist ein wichtiger Teil meiner künstlerischen Praxis. Das Nebeneinander der Sujets, die sich ergebenden Assoziationsgeflechte führen zu einer Verdichtung, die die Idee und das Grundgefühl der künstlerischen Reihe vermitteln können. Im Fall von Shelter schwingt für mich eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit mit.

 

AH: Der Wunsch nach Geborgenheit spiegelt sich auch im Material und in der bildnerischen Umsetzung wider: Es dominieren warme Brauntöne, und der Eindruck von Holz bzw. Holzstrukturen ist prägend. Die Bilder bzw. das Puzzleartige der Schutz-Konstruktionen erinnern ja an Holzschnitt-Technik und man sieht in einigen Fällen erst beim näheren Hinsehen, dass die Holzstrukturen gemalt sind – wenn auch auf Holz. Wie kam es dazu?

 

moki: Mich hat die Linie interessiert, die in der Malerei durch das Übermalen der Vorzeichnung fast immer verloren geht. In Farbholzschnitten hingegen bleibt diese Linie erhalten. Also habe ich experimentiert und mit Beratung meines Onkels, der Restaurator ist, zunächst eine Einlegearbeit aus Holzfurnier angefertigt. Aber anstatt neue Bilder mit der Intarsientechnik umzusetzen, bin ich dann zurück zur Zeichnung bzw. Malerei gekommen und habe die Holzmaserungen malerisch imitiert. Dabei male ich auf Holz und richte mich nach dessen Faserrichtung, nehme vorhandene Maserungen und Astlöcher auf oder ändere sie ab. Früher wurden Möbelstücke so bemalt, dass sie wie edle Hölzer aussahen, um sie wertvoller wirken zu lassen. Diese Imitation, das Vortäuschen oder Tarnen fasziniert mich. Die puzzleartig ineinander greifenden Flächen aus Maserungen erinnern an Camouflage-Muster, also Tarnungen, und es ist die Tarnung, die Imitation einer Oberfläche, die den Schutzraum erschafft. Als Getarnter ist man unsichtbar, als Unsichtbarer ist man unangreifbar und sicher.

 

AH: Deine aktuellen Bilder erscheinen viel konkreter und materieller als deine Serie How to dissappear

 

moki: Es wirkt in der Tat so, als ob meine künstlerische Arbeit ein Stück mehr zur Welt gekommen ist. Anstelle der sich hinweg Träumenden, anstelle irrealer Orte und phantastischer Wesen zeigen die Bilder in Shelter eher Reales oder Realität – Opfer von Naturkatastrophen, Kriegen oder Armut, aber auch Orte und Situationen, die das schlimmste Ausgeliefert-Sein auffangen können. Die Herausforderungen, vor denen wir global stehen, erscheinen so überwältigend, dass es verführerisch ist, ins Private zu flüchten und „verschwinden“ zu wollen. Umso wichtiger ist es, die Bedürfnisse nach Schutz, Zuflucht und sicheren Räumen ernst zu nehmen, sich aber nicht im Schneckenhaus zu verkriechen, sondern herauszutreten und aktiv zu werden.

 

März 2015/ November 2018

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