Zu Gast im 24. Stock
Zu Gast im 24. Stock
Foto und Collage: Poligonal, Text: Anna-Lena Wenzel
Algisa Peschel ist eine der Erstbewohnerinnen des in den 1970er Jahren errichteten Wohnkomplexes in der Leipziger Straße. Im Rahmen der von Poligonal kuratierten Veranstaltungsreihe “Zu Gast bei…” (als Teil des Vermittlungsprogrammes von KISR – Kunst im Stadtraum) hat sie im November 2024 zu sich in den 24. Stock eingeladen. Rund zwei Dutzend Personen sind dieser Einladung gefolgt, gemeinsam fahren wir im Fahrstuhl die Stahlbetonskelett-Konstruktion hinauf, die zwischen 1973/1974 errichtet wurde.
Kaum betreten wir die 4-Raum-Wohnung, sind wir schon in der gemütlichen Küche. Auf dem Tisch stehen Kaffee, süßes und salziges Gebäck – und mindestens sechs Fotoalben. Von der Küche geht es direkt ins Wohnzimmer und auf einen der zwei Balkone. Was für eine Aussicht man von hier oben hat!
Algisa Peschel begrüßt uns und stellt sich kurz vor (geboren 1941 in Dresden, Studium als Vermessungsingenieurin an der technischen Universität Dresden bei ihrem Vater, Umzug nach Berlin und dort von 1969 bis 1990 im Büro für Städtebau Ost-Berlins bei Roland Korn, seit 1973 offiziell „Chefarchitekt von Berlin, Hauptstadt der DDR“, als Ingenieurin tätig. Das erste, was sie uns mit sichtlichem Stolz in der Stimme erzählt, ist, wieviel Neubauwohnungen ab den 1970er jährlich in Ostberlin entstanden sind: 10.000. Heute liegen die Zahlen weit darunter. „Das Wohnbauprogramm war eine Herzensangelegenheit der Regierung“, sagt sie. In den folgenden 90 Minuten wird Peschel immer wieder betonen, dass sie das Wohnbauprogramm Ostberlins für vorbildlich hält, und diese Jahre zurück blicken, in denen im Wohnkomplex noch viel mehr Kinder wohnten und das Engagement und der Zusammenhalt noch ein anderer waren. Für sie bzw. ihr Wohnhaus war die Wende eine zweischneidige Angelegenheit. Zwar wurden die Häuser saniert, aber zwei der vier Doppelhochhäuser wurden privatisiert und damit zu Spekulationsobjekten. Kurz nach 1990 sei zudem die Kita im Haus geschlossen worden. Zwar hätte diese nach ein paar Jahren wieder geöffnet, doch die meisten der Gebäude, die damals zwischen den Scheiben entstanden und in denen Schulen und Sportstätten untergebracht waren, sind heute verschwunden oder umfunktioniert. Weitere Einrichtungen für Kinder wie die Kinderbibliothek, das Kinderkaufhaus und die Milch- und Eisbar „Käuzchen“ gibt es heute ebenfalls nicht mehr. Viele Kneipen, Restaurants und Geschäfte sind geschlossen, so dass von der belebten Leipziger Straße kaum noch etwas übrig sei. Peschel ergänzt: „Und das ist auch so gewollt“, denn die andere Seite der Leipziger, da wo früher viele Diplomaten gewohnt hätten, gehöre jetzt der BIMA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) und die hätte ihre eigenen Interessen. Dass die schönen Dinge erhalten bleiben, wie die Plansche, Mosaike oder die Springbrunnen, dafür müsse man sich einsetzen.
Während sie erzählt, greift sie immer wieder zu dem Stapel Fotoalben und reicht vergrößerte Fotos und Artikel über die Leipziger Straße herum. Auf einem sieht man das Gebiet der Leipziger Straße vor der Bebauung – eine riesige Brache in unmittelbarer Nähe der Grenze und des Springer-Hochhauses auf der westlichen Seite. Auf einem anderen ist Algisa beim ehrenamtlichen Einsatz im Jugendpark abgebildet. Mit Freude erzählt sie, dass sie einmal im Jahr immer noch ein Kinderfest organisieren würden.
Die Veränderungen der Nachbarschaft treibt sie um. Gab es anfangs viele Familien, wohnt heute nicht ein einziges Kind mehr auf ihrer Etage. Während sie früher, wenn sie und ihr Mann ausgegangen wären, zur Aufsicht den Nachbarn die Wohnungsschlüssel gegeben hätten, ist das Zusammenleben heute viel anonymer. Auch der Verweis auf die Tatsache, dass Erich und Margot Honeckers Enkel Roberto hier in die Kita ging, endet mit dem Kommentar, dass so etwas heute nicht mehr möglich wäre.
Was würde sie sich für die Leipziger Straße wünschen?, fragt eine Zuhörerin zum Abschluss. „Mehr Grün auf der Leipziger Straße und weniger Autoverkehr und Parkplätze.“ Während sie das sagt – sie fährt selber Auto – räumt sie ein, dass das keine beliebte Forderung ist, aber bei den Zuhörer*innen stößt sie auf Zustimmung. Man spürt, dass Algisa Peschel nicht nur eine leidenschaftliche Bewohnerin des Wohnkomplexes ist, sondern auch die Stadtbaupläne, wie den geplanten Bau einer Tramlinie auf der Leipziger Straße, interessiert verfolgt und aus der Perspektive einer Stadtplanerin kommentiert, die nicht nur die persönlichen Interessen verfolgt, sondern die größeren Zusammenhänge im Blick hat.
Zu Gast bei heißt die Veranstaltungsreihe von Poligonal. Büro für Stadtvermittlung, die das Vermittlungsprogramm von KISR – Kunst im Stadtraum 2023-25 organisieren.
Kaum betreten wir die 4-Raum-Wohnung, sind wir schon in der gemütlichen Küche. Auf dem Tisch stehen Kaffee, süßes und salziges Gebäck – und mindestens sechs Fotoalben. Von der Küche geht es direkt ins Wohnzimmer und auf einen der zwei Balkone. Was für eine Aussicht man von hier oben hat!
Algisa Peschel begrüßt uns und stellt sich kurz vor (geboren 1941 in Dresden, Studium als Vermessungsingenieurin an der technischen Universität Dresden bei ihrem Vater, Umzug nach Berlin und dort von 1969 bis 1990 im Büro für Städtebau Ost-Berlins bei Roland Korn, seit 1973 offiziell „Chefarchitekt von Berlin, Hauptstadt der DDR“, als Ingenieurin tätig. Das erste, was sie uns mit sichtlichem Stolz in der Stimme erzählt, ist, wieviel Neubauwohnungen ab den 1970er jährlich in Ostberlin entstanden sind: 10.000. Heute liegen die Zahlen weit darunter. „Das Wohnbauprogramm war eine Herzensangelegenheit der Regierung“, sagt sie. In den folgenden 90 Minuten wird Peschel immer wieder betonen, dass sie das Wohnbauprogramm Ostberlins für vorbildlich hält, und diese Jahre zurück blicken, in denen im Wohnkomplex noch viel mehr Kinder wohnten und das Engagement und der Zusammenhalt noch ein anderer waren. Für sie bzw. ihr Wohnhaus war die Wende eine zweischneidige Angelegenheit. Zwar wurden die Häuser saniert, aber zwei der vier Doppelhochhäuser wurden privatisiert und damit zu Spekulationsobjekten. Kurz nach 1990 sei zudem die Kita im Haus geschlossen worden. Zwar hätte diese nach ein paar Jahren wieder geöffnet, doch die meisten der Gebäude, die damals zwischen den Scheiben entstanden und in denen Schulen und Sportstätten untergebracht waren, sind heute verschwunden oder umfunktioniert. Weitere Einrichtungen für Kinder wie die Kinderbibliothek, das Kinderkaufhaus und die Milch- und Eisbar „Käuzchen“ gibt es heute ebenfalls nicht mehr. Viele Kneipen, Restaurants und Geschäfte sind geschlossen, so dass von der belebten Leipziger Straße kaum noch etwas übrig sei. Peschel ergänzt: „Und das ist auch so gewollt“, denn die andere Seite der Leipziger, da wo früher viele Diplomaten gewohnt hätten, gehöre jetzt der BIMA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) und die hätte ihre eigenen Interessen. Dass die schönen Dinge erhalten bleiben, wie die Plansche, Mosaike oder die Springbrunnen, dafür müsse man sich einsetzen.
Während sie erzählt, greift sie immer wieder zu dem Stapel Fotoalben und reicht vergrößerte Fotos und Artikel über die Leipziger Straße herum. Auf einem sieht man das Gebiet der Leipziger Straße vor der Bebauung – eine riesige Brache in unmittelbarer Nähe der Grenze und des Springer-Hochhauses auf der westlichen Seite. Auf einem anderen ist Algisa beim ehrenamtlichen Einsatz im Jugendpark abgebildet. Mit Freude erzählt sie, dass sie einmal im Jahr immer noch ein Kinderfest organisieren würden.
Die Veränderungen der Nachbarschaft treibt sie um. Gab es anfangs viele Familien, wohnt heute nicht ein einziges Kind mehr auf ihrer Etage. Während sie früher, wenn sie und ihr Mann ausgegangen wären, zur Aufsicht den Nachbarn die Wohnungsschlüssel gegeben hätten, ist das Zusammenleben heute viel anonymer. Auch der Verweis auf die Tatsache, dass Erich und Margot Honeckers Enkel Roberto hier in die Kita ging, endet mit dem Kommentar, dass so etwas heute nicht mehr möglich wäre.
Was würde sie sich für die Leipziger Straße wünschen?, fragt eine Zuhörerin zum Abschluss. „Mehr Grün auf der Leipziger Straße und weniger Autoverkehr und Parkplätze.“ Während sie das sagt – sie fährt selber Auto – räumt sie ein, dass das keine beliebte Forderung ist, aber bei den Zuhörer*innen stößt sie auf Zustimmung. Man spürt, dass Algisa Peschel nicht nur eine leidenschaftliche Bewohnerin des Wohnkomplexes ist, sondern auch die Stadtbaupläne, wie den geplanten Bau einer Tramlinie auf der Leipziger Straße, interessiert verfolgt und aus der Perspektive einer Stadtplanerin kommentiert, die nicht nur die persönlichen Interessen verfolgt, sondern die größeren Zusammenhänge im Blick hat.
Zu Gast bei heißt die Veranstaltungsreihe von Poligonal. Büro für Stadtvermittlung, die das Vermittlungsprogramm von KISR – Kunst im Stadtraum 2023-25 organisieren.