'Ninja Machiya'

Schwerpunkt: Fassaden

'Ninja Machiya'

Eine Fassadentypologie
Von Thomas Monses

 

'Ninja Machiya' sind übrig gebliebene Haussilhouetten, die sich noch auf den benachbarten Fassaden abzeichnen und erkennen lassen. Der Künstler Thomas Monses bereiste mehrere Städte, u.a. Kanazawa, Tokio, Osaka, Paris, Berlin und Hamburg, um diese Zeichen urbaner Progression fotografisch festzuhalten. Die Vielzahl unterschiedlicher Formen veranlasste ihn dazu, eine Typologie zu erstellen und in Gestalt eines Posterbuches zu veröffentlichen. Hier veröffentlichen wir Auszüge davon.

 

Am Anfang war das Machiya


Ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich das erste Mal ein Foto dieser Art gemacht habe. Ich vermute, es war um 1998 als ich das erste Mal Berlin besucht hatte.

Meine Faszination für alte zerfallene, dem Abriss geweihte Gebäude bzw. für ihre letzten Spuren war schon immer da. Das systematische Aufzeichnen davon entwickelte sich dann ganz gezielt, als ich für längere Zeit nach Kanazawa in Japan ging. Dort lernte ich die Arbeiten des Atelier Bow-Wow kennen, das sich in dem  Buch „Walking with Atelier Bow-Wow Kanazawa Machiya Metabolism“  mit dem Wandel des traditionellen japanischen Townhouse, dem Machiya beschäftigt.

Das Besondere in Japan ist, dass die Spuren der alten Gebäude an den Fassaden nicht wegkaschiert werden, zumindest nicht in den eher kleinen bis mittelgroßen Städten. (Tokio mag eine Ausnahme sein, da die durchschnittliche Lebenszeit eines Gebäudes nur ca. 80 Jahre beträgt und sich Tokio anderen urbanen Aufgaben stellen muss als kleinere Städte).

Infolgedessen entdeckte ich unzählige Bilder von zurückgebliebenen Gebäudeumrissen auf benachbarten Hausseitenwänden und machte es mir geradezu zur Aufgabe, wirklich auch den kleinsten Hinweis auf ein vorheriges Gebäude wahrzunehmen und festzuhalten. Diese Überreste nenne ich „Ninja-Machiya“, eine Wortschöpfung meiner Freundin, weil das Wort Ninja etwas wie Geheimnis und Unsichtbares beinhaltet.

 

Hier möchte ich einige Formen der Typologie vorstellen:

 

Totan-Ninja


Totan sind die metallenen Wellbleche, mit denen sehr viele Seitenwände von Häusern in Japan verkleidet werden. Meine Erfahrung ist, dass dies die häufigste Form ist, in der man Ninjas antrifft. Die Eigenschaft dieses Materials, das relativ schnell altert, spricht mich sehr an, weil sich dadurch auch der Verlauf der Zeit deutlich abzeichnet, anders als bei langweiligem Beton.

 

Beton-Putz-Ninja


Diese Form von Ninja tauchte natürlich vermehrt auf, als der Baustoff Beton für den massenhaften Wohnungsbau in urbanen Räumen eingesetzt wurde. Die neuen Gebäude wurden dicht am nebenstehenden Machiya angebaut und die Seitenwand anschließend verputzt. Wenn dann das alte Machiya abgerissen wurde, entstand so eine Art Profilabdruck, der oftmals deutlich die Struktur des vorherigen Machiyas wiedergibt.

 

Composite-Ninja


Das Composite-Ninja ist eine Form, bei der mehrere der erstgenannten Formen zusammentreffen. Am besten sichtbar wird diese Form, wenn ein vorheriges Gebäude durch nachträglich angebrachtes Totan auf einer Holzfassade verändert wurde. Man sieht dies auch auf verputzten Beton-Fassaden, wahrscheinlich weil die darunterliegende Fläche zu empfindlich für Witterungseinflüsse war.

 

Andere Städte – andere Ninjas


Bei meinen Reisen in andere große Städte entdeckte ich Ninjas, die sich sehr ähnlich sind. Gleichzeitig wurde ich für die kleinen Unterschiede sensibilisiert. Das Plastik-Kleid-Ninja fand sich vornehmlich in europäischen Städten. In Paris ist mir aufgefallen, dass die Schornsteinleitungen bei den Ninjas sehr gut nachvollziehbar sind und sich deutlich auf den Fassaden abzeichnen. Gerne möchte ich zu späterer Zeit weitere Städte besuchen, um Ninjas zu entdecken. Man kann oft von den Ninjas auf die unterschiedlichen Bauweisen schließen und es wäre sehr spannend, diese aufzuzeichnen und somit die Typologie zu erweitern.

 

Vom Verschwinden bedroht – ein Ausblick


Ninjas sind Ausdruck einer urbanen Progression, die uns nur für kurze Zeit einen Einblick in den Entwicklungsprozess unserer Städte ermöglichen. An ihnen lässt sich ablesen, wie sich unsere Städte kontinuierlich verändern. Das Tragische ist, dass diese Ninjas unweigerlich verschwinden und durch zeitgenössische, gesichtslose Architektur ersetzt werden. Teils sind die Ninjas eine Begleiterscheinung einer fortschreitenden Gentrifizierung. Aus diesen Gründen ist es mir derzeit sehr wichtig, diese Ninjas zumindest im Bild aufzuzeichnen. Es ist für mich eine Art experimentelle Archäologie, die dem Verschwinden etwas entgegenhält. Das Bewusstsein über die Ninjas ermöglicht uns, unsere urbane Umgebung auf andere Art und Weise wahrzunehmen und aktiv mitzuerleben. Mein Wunsch wäre es, so viele Ninjas wie möglich zu erhalten.

 

Zum Künstler: http://thomasmonses.com


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