Mach den Test: Bist du ein Stadtmensch?

Schwerpunkt: Dörfer

Mach den Test: Bist du ein Stadtmensch?

Finde deine Stadttauglichkeit heraus
Christoph Herrmann

Wenn du bei der Mehrheit der angeführten Fragen und Aussagen lauthals „Das sehe ich ganz genauso!“ rufen willst, solltest du nicht länger warten, sondern deine Chance beim Schopfe packen und „Dein Land“ erobern!

 

1)      Lärm

 

Mich kotzt dieser ständige Lärm an! Der Verkehr vor meiner Tür auf der Straße, das Beben der vorbeifahrenden Tram, dieses ständige Gehupe sind wirklich nicht auszuhalten. Zugegeben, ich habe ein Auto und benutze es auch, aber das da draußen ist eine Zumutung. Ich muss nicht ständig hupen. Ich hätte nichts gegen ein Nachtfahrverbot, damit ich morgens ausgeschlafen zur Arbeit fahren kann.


Wirkliche Ruhe und uneingeschränkte Entspannung und Ruhe gibt es für dich wohl nur im jungfräulichen Schoß der Natur. Aber man muss nicht gleich an die kanadische Alaska-Grenze ziehen. Auch bei uns gibt es weite Landstriche die Ruhe pur bieten können.

Tipp: folgende Lärminseln meiden: militärische Truppenübungsplätze, Großraumdiskotheken, grundsätzlich am besten alle Infrastrukturen, wie Autobahnen, Eisenbahnen, Flughäfen, Windkraftanlagen, Funkmasten etc. Als Faustregel gilt: je unbefestigter die Straße, desto langsamer die Fahrgeschwindigkeit, ergo weniger Lärm! Aber Achtung bei Zufahrtsstraßen und Krankenhäusern!

 

Die Kneipe unten im Haus ist eine Insel der Gemütlichkeit und natürlich gehe ich auch gerne mal aus. Ich schätze das Angebot sehr, aber wer es immer und den ganzen Tag das ganze Jahr hindurch unter sich ertragen muss, versteht, dass es wirklich nicht zu viel verlangt ist, wenn man die Außengastronomie um 22 Uhr schließt und das Rauchen inner- und außerhalb der Gaststätte unterbindet. Ich verstehe sowieso nicht, wer unter der Woche so lange weggehen kann, wenn man am nächsten Tag früh aufstehen muss. Und wo die Leute das Geld dafür hernehmen, die ganze Woche in die Kneipe gehen zu können.


Auch hier bietet dir das Dorf die idealen Voraussetzungen. Nicht nur die weite, niedrige Bebauung lässt den Schall schnell frei und Zigarettenrauch verschwinden, auch der zunehmende Kneipenschwund in ländlichen Regionen macht viele Ärgernisse schlicht überflüssig. Wenn man will, fährt man eben kurz ins Nachbardorf und feiert dort.

Tipp: Gründe Fahrgemeinschaften nach dem Motto: „Tragt mich zum Auto, ich fahr euch heim!“

 

Ich bin ein ausgesprochen kinderlieber Mensch. Ich war selber mal eins, aber früher gab es so etwas nicht, dass man den ganzen Tag auf der Straße oder dem Spielplatz rumgeschrien hat. Dass die Eltern da heute nicht mehr einschreiten! In der Anwohnerinitiative habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass die Kindertagesstätte einen eigenen Garten bekommt. Die Kinder sind bis jetzt in den benachbarten Park gegangen, ich verstehe nicht wieso das nicht weiter möglich sein soll. Ich habe mich auch gegen ein weiteres Kinderbetreuungsprogramm auf unserer Straße ausgesprochen, sonst wird das hier noch eine reine Spielstraße!


Ein klarer Vorteil für dich ist die Überalterung nahezu aller ländlichen Regionen. D. h. wenig Kinder! Schließlich ziehen viele junge Menschen, besonders die Frauen, bevor sie Kinder bekommen in die Städte. Und es gibt wenige die zurückkommen. Das bedeutet für dich, du kannst ganze Dorfgemeinschaften einer bestimmten Altersgruppe um dich scharen.

Tipp: Synergieeffekte mitnehmen! Den ehemaligen Spielplatz einfach in einen Senioren-Trimm-dich-Pfad umgestalten! Bingospielgruppen in der Sporthalle einrichten! Aus Kindergeschrei wird Altengelächter!

 

2)      Überfüllung

 

Wohnungssuche macht mir keinen Spaß! Es ist fast unmöglich, einen adäquaten Wohnraum für mich zu finden. Und habe ich endlich die Stuck-Parkett-Balkon-Altbauwohnung im 4. OG gefunden, stehen fünfzig andere Interessierte mit mir in der Schlange, um ihre gelayoutete Dossier-Mappe abzugeben. Nicht ohne einen Anflug von Stolz gehe ich heim und grinse in mich hinein: Ich war unter den letzten drei! Also alles richtig gemacht.


Top Argument fürs Dorf: Du hast endlich Platz ohne Ende. Problem: Du hast die Qual der Wahl! Lass dir also ruhig mal die Portfolios der Vermieter zeigen. Gehen sie dann nicht auf dein Angebot ein, dann ziehst du einfach in das Haus nebenan! Bei über 1,3 Millionen leer stehenden Wohnungen, die du allein in Ostdeutschland zur Verfügung hast, ist für alles Platz außer für Kompromisse! Tipp: Überleg dir mal, ob du nicht zwei Landsitze beziehen magst. Abwechslung hat noch keinem geschadet.

 

Ich halte diese überfüllten Hörsäle einfach nicht mehr aus. Es ist unmöglich, dass ständig mehr Leute anfangen zu studieren. Und dann noch die ganzen Rentner, haben die kein Zuhause? Jetzt gibt es schon so viele Möglichkeiten sich seinen Nachmittag zu gestalten, wieso müssen alle ausgerechnet in meine Vorlesung kommen? Und dann komme ich auch noch in meinen Yoga-für-Linkshänder-Kurs erst im dritten Anlauf. Was wollen die ganzen Menschen nur hier?

Provinz hat doch nichts mit Bildungsprovinz zu tun! Auf dem Land kann man sich wenigstens richtig auf das Studium konzentrieren und wird nicht ständig abgelenkt durch Lärm, Ausgehen oder neue Wohnungssuche aufgrund von Verdrängung. Auch für die Freizeit gibt es genug Angebote (Freiwillige Feuerwehr, Fußball- und Schützenverein…) Zur Not gründest Du einfach deinen eigenen Sushi-Kochkurs oder schaust fern.

Tipp: Für 500 € Begrüßungsgeld sind einige Wochenendtrips zu den alten Freunden in die Stadt drin!

 

Die morgendlichen 15 Minuten zur Arbeit sind die schlimmsten des Tages! Dicht an fremde Menschen gedrückt, stehe ich in der S-Bahn(Bus, U-Bahn, wahlweise austauschen) und werde bei jedem abrupten Ruck mit der Nase in die Achselhöhle meines offensichtlich ungeduschten Nachbarn gestoßen. Natürlich ist der Anschluss wieder weg, ich muss vier Minuten in der Kälte stehen, bis endlich eine weitere ebenso volle S-Bahn einfährt.


Du solltest deine Gewohnheiten ändern. Du bist ein wunderbares einzigartiges Individuum und so solltest du auch von deinem Verkehrsmittel behandelt werden. Nimm dein eigenes Auto und bestimme selbst, wann du mit wem wohin fährst. Die leeren Landstraßen sind deine erste Wahl! Selbst wenn du jetzt eine Stunde länger zur Arbeit fährst, stell dir vor: Du lehnst dich in deinem passechten Recaro-Sitz zurück, startest deinen 3er mit den 250PS, der perfekte Sound wird nur noch von einer Anlage getoppt und du fliegst davon. Das ist Freiheit!

 

3)      Überangebot

 

Diese endlosen Einkaufstouren in die kleinen spezialisierten Lädchen um die Ecke machen mich fertig. Ich kann mich in der Fülle der Waren einfach nicht entscheiden. Wozu brauche ich 34 Espressosorten? Ich geh einfach in den Discounter und nehme was im Angebot ist. Ich sage immer: weniger ist mehr! Besonders beim Preis!


Auch hier bietet das Dorf für dich die ideale Lösung. Solang es den kleinen Supermarkt noch gibt, nimmst du eben, was er hat. Und wenn er nix mehr hat, ist das ein reduktionistischer Ansatz der Selbstenthaltung und des Konsumentzugs. Für den Großeinkauf gibt’s den Megastore im Nachbardorf. Hier bekommst du sowieso alles, was du zum Leben brauchst: von der Unterwäsche bis zum Motoröl. Einfach einmal in der Woche das Auto vollmachen und das wars!

Tipp: Auch im eigenen Garten gibt es nur das, was gerade Saison hat! Da musst du nicht lange überlegen, was du heute kochen sollst!

 

Dieses Überangebot an Kultur, da weiß man ja gar nicht mehr, wo man hingehen soll. In Berlin könnte ich nicht leben, allein das kulturelle Angebot überfordert mich. ich habe ständig das Gefühl etwas zu verpassen und dann mache ich erst recht gar nichts mehr. Damit käme ich nicht zurecht. Ich brauche ein Theater, da weiß ich, was läuft. Selbst da schaffe ich es nicht alles zu sehen.


Ich empfehle dir auch hier das Dorf. Die Bühne der ansässigen Laienspielgruppe lässt den Vorhang nur einmal im Jahr fallen. Den Termin kannst du gut im Blick behalten. Falls diese irgendwann aus Altersgründen geschlossen wird, gibt es bestimmt eine Alternative.

Tipp: Statt alltäglicher Unterhaltung besser einmal im Jahr den Riesencoup landen: aus dem Katalog einen Wochenendausflug mit Musicalbesuch incl. Übernachtung und Stadtrundfahrt buchen.

 

Ich bin auch für Multi-Kulti, aber wenn es gar keine Gaststätte mehr gibt, in der ich einen Schweinsbraten essen kann, dann fehlt mir was. Ich hol auch gern mal was von Chinesen, aber das will ich nicht jeden Tag essen. Mein Problem ist, dass viele so schlecht deutsch reden, dass ich sie gar nicht verstehen kann. Da können mich ja die meisten Italiener in Rimini besser verstehen als mancher, der hier lebt.


Für deine Angst vor Überfremdung bietet gerade das dörfliche Leben eine idyllische Voraussetzung. Nach genauerer Recherche lassen sich für dich gleichgesinnte und -geschaltete Dorfgemeinschaften finden, die sich auch nach traditionellem Vorbild als Camp oder Lager umbauen lassen. Hier bist du dann unter deinesgleichen. Es gibt wieder eine gemeinsame Meinung, die nicht ständig diskutiert werden muss.

Tipp: Wenn deine Angst nicht weggeht, einfach einen hohen Zaun um dein Reich bauen und selber dafür sorgen, dass niemand mehr reinkommt!

 

4)      Schmutz

 

Ich kann diese Fertigprodukte nicht mehr sehen und koche schon jetzt alles selbst. Ich brauche dringend einen eigenen Garten, um immer frisches Gemüse zu haben und den Bioladen zu sparen. Ich will nicht, dass mein Kind im Glauben aufwächst; dass Milch aus der Tüte kommt, Fleisch nix mit unserem Kaninchen Wuschel zu tun hat und dass es unmöglich ist, selbst Joghurt und Marmelade zu mischen.


Natürlich ist für dich ein eigener Selbstversorgerhof the place to be! Hier sind die Äpfel noch direkt vom Baum genießbar und die Beeren ungespritzt! Wer schon weiß, wie man eigenes Gemüse anbaut, einmacht und Apfelkuchen bäckt, für den ist ein echter Hof ein Heimspiel. Für den ist das Erreichen des Ertragsniveaus von 70-79 dz/ha seiner Wintergerste reine Formsache, der kennt die Tricks gegen Schaden in landwirtschaftlichen Kulturen durch Schwarzwild und der weiß, wie er den Raps in RME-Biodiesel verestert.

 

Ich ersticke in dieser dreckigen Luft. Ich brauche Frischluft und Freiheit. Ich muss den Wind um die Nase wehen haben und meine Augen dürfen den Horizont nicht mehr erkennen können, sonst bekomme ich Platzangst. Die engen Straßenschluchten und die Autokolonnen verursachen Schweißausbrüche bei mir. Allein das ganze CO2 der Fabriken und Autos! Und das Ozon!


Für dich und deine Nase gibt es nur eine Lösung: Raus aufs Land. Hier, wo es noch nach Moos, Blättern und Morgentau riecht, findest du Erholung! Wenn hier was stinkt, ist es nur der Mensch, der in die filigranen Ökosysteme eingreift und Biogas produziert oder Silage für Viehzucht anlegt.

Tipp: Auf dem Land gibt’s keinen Gestank, alle Gerüche sind gut und man kann an ihrer Vielzahl seine Nase üben.

 

Schmutzige Straßen, schmutzige Parks, schmutziger Schnee, schmutziges Alles! Igitt, die Stadt ist einfach ein Moloch. Wenn ich von draußen rein komme, muss ich erst mal die Hände waschen. Überall liegen Müll, Möbel und Kot herum. Niemand fühlt sich dafür verantwortlich, keiner macht das weg. Die Häuserwände sind beschmiert, die U-Bahnen riechen nach Urin. Widerlich!


Hier empfehle ich dir das Land. Hier ist alles schön sauber! Grüne saftige Wiesen, bunte Blätter im Herbst und idyllische Bächlein! Wenn du hier deinen Müll auf die Straße schmeißt, weiß gleich jeder, dass du es warst, nicht nur weil es vor deinem Haus liegt, sondern weil es auch alle gesehen haben. Hier achten alle gemeinsam darauf, dass alles schön ordentlich bleibt!

Tipp: Gründe Unterschriftenaktionen gegen Luftverpester, hier wirst du schnell Gleichgesinnte finden!

 

Auswertung:


0-2 Übereinstimmungen:

Gratuliere! Du bist ein echter Stadtmensch! Alles, was du schätzt, kannst du direkt im eigenen Kiez erleben. Das dicht gedrängte, dreckige, laute Leben ist bei dir erste Wahl. Du hast keine Angst vor Anderen oder vor Körperkontakt und bist immun gegen die meisten ansteckenden Krankheiten und regelmäßig auftretende Lärmquellen. Du weißt heute nicht in welchem Club du morgen enden wirst, aber wo es am nächsten Morgen die besten Brötchen oder traditionellen, also schärfsten Shawarma gibt.

 

3-5 Übereinstimmungen:

Gratuliere! Du bist ein echter Dorfmensch! Hier findest du Gleichgesinnte! Hier kennt man sich, hilft sich gegenseitig und hält zusammen. Hier träumt man noch zusammen den großen Traum. Hier gibt es keine Geheimnisse, aber es gibt noch ernstgemeinte Ratschläge, an die man sich hält. Da bleiben nur die Worte Jacques Palmingers: „Was ist die Großstadt gegen die Freunde, bei Finsterwalde leben noch drei. Halten sich wacker auf dem Parkplatz und sehen den Autos Richtung Süden nach.“

 

6-9 Übereinstimmungen:

Gratuliere! Du bist ein echter Landmensch! Dich kann die Stadt nicht mehr lange halten. Du brauchst den Wind in der Nase und den Matsch an den Sohlen. Du kannst sie noch, die guten alten Dinge: Einkochen, Tiere erlegen oder das verstopfte Klo selbst reparieren. Du willst das Wunder der Natur hautnah miterleben, den Wechsel der Jahreszeiten spüren, die Selbstversorgung durch saisonale Produkte erproben, auch wenn das bedeutet, mal wochenlang nur Eingelegtes zu essen und kein warmes Wasser zu haben. Dafür bist du ein Nachhaltigkeitspionier und weißt, was laktationsbedingtes Milchfieber nach dem nächtlichen Abkalben der Milchkühe anrichten kann. Deine Neugierde ist bewundernswert und du bist ganz dicht dran am Leben! Du musst uns das alles aus erster Hand berichten, wenn du deine Pilzvergiftung überstanden hast.

Kurzbeiträge

Einwürfe

Spaces of Solidarity Der Kiosk of Solidarity macht Station in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum
Parasite Parking Logbuch einer öffentlichen Intervention von Alexander Sacharow und Jakob Wirth

Fundsachen

found footage-sculptures Patrick Borchers unterwegs in Neapels Straßen
Dickpic-Galerie Die Journalistin Anne Waak postet a

Straßenszenen

Asphaltrisse Risse in Berliner Straßen fotografiert von Heide Pawlzik.
Neun falsche Hennen Die Welcomecitygroup feiert Junggesellinenabschied auf der Reeperbahn in Hamburg
Städtische Arrangemens in Comănești

Die Fotos und der Text stammen au

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