und besitzt man in der Oranienstraße

und besitzt man in der Oranienstraße

Text: Naomi Hennig
Eigentumsverhältnisse in der Oranienstraße 199-205

Steht man auf dem Heinrichplatz und schaut um sich, sieht man ein scheinbar ganz normales Kreuzberger Altbaupanorama mit sanierten Fassaden, manche begrünt oder künstlerisch gestaltet. Die Straßenzeilen sind relativ homogen, nur hier und da fügt sich ein Neubau unauffällig in die historischen Häuserreihen ein.

Hier hätte es jedoch auch völlig anders kommen können. Ende der 1970er Jahre standen die Häuser rund um den Heinrichplatz zum großen Teil leer. Sie waren systematisch entmietet worden, da hier u. a. ein Autobahnkreuz gebaut werden sollte. Die GSG (Gewerbesiedlungsgesellschaft) als Sanierungsträger hatte diesen Block komplett von den einzelnen Privateigentümer_innen aufgekauft. Viele der Bewohner_innen, die hier ihr ganzes Leben gewohnt hatten, mussten – oft gegen ihren Willen – ausziehen. Ein Großteil der Häuser sollte abgerissen und das Quartier durchgreifend modernisiert werden. Betroffen war auch der spitz zulaufende Block zwischen Mariannenstraße, Oranienstraße und Skalitzer Straße (Block 104, auch Linné-Block), wo der Abriss bereits voll im Gang war. Doch es regte sich Protest unter den Anwohner_innen. Mit Beginn der Internationalen Bauausstellung (IBA-Altbau) änderte sich die Denkweise, und die Methode der „Behutsamen Stadterneuerung ohne Vertreibung“ gewann die Oberhand. Altbausanierung hatte nun Vorrang vor Entmietung und Neubau. Auch die Autobahn war irgendwann passé.

Ab Anfang der 1980er Jahre wurden wegen der herrschenden Wohnungsnot in West-Berlin zudem viele der leerstehenden Häuser in Kreuzberg besetzt, oder auch „instand-besetzt“. Die Besetzer_innen machten sich daran, die maroden Gebäude in Eigeninitiative trockenzuwohnen und zu renovieren. Auch eins der Häuser im Block 104 wurde 1980 besetzt – das Eckhaus Oranienstraße 198, auch bekannt als Besetz-A-Eck, heute im Bestand der Luisenstadt e. G. Die Häuser rechts und links des Besetz-A-Ecks sowie die gesamte Häuserzeile bis zur O205, dem letzten Haus der Straße, wurden saniert, neue Mieter_innen, darunter viele türkischstämmige Familien zogen ein und schließlich gingen die Gebäude in den Bestand der landeseigenen GSW (Gemeinnütziges Siedlungswerk) ein.

Nach der Privatisierung der GSW wechselte die Häuserzeile mehrfach die Eigentümer_innen. Die ganze Blockseite mit Ausnahmen des Besetz-A-Ecks ging 2005/06 im Paketverkauf an die österreichische Citec Immo Berlin GmbH.[1] Diese verkaufte das ‚Immobilien-Paket‘ Mitte 2009 weiter an die SIAG Berlin. Zuletzt wurden die Häuser Anfang 2017 an ein Konglomerat aus der Berliner EB Group und dem Immobilienfond Deutsche Investment Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH verkauft. Genauer gesagt, gingen die Häuser an den Immobilienspezialfond „Deutsche Investment – Wohnen 3“ über, an anderer Stelle wird er auch als „EB-DI Wohnen III-Berlin GmbH, Berlin“ bezeichnet (Northdata).

Die EB Group tritt gegenüber den Mieter_innen als Verwalterin auf, scheint aber offenbar selber auch am Fond beteiligt zu sein. Die 2001 gegründete Berliner EB Group – sie firmiert unter den Initialen ihres Gründers und Geschäftsführers Enver Büyükarslan – mauserte sich innerhalb von 15 Jahren zu einer „integrierten Immobilien-Holding, die mit ihrer 360°-Kompetenz alle Bereiche der Immobilienwirtschaft abdeckt. Seit 2016 besteht eine strategische Immobilienpartnerschaft mit der Deutschen Investment KVG.“ (Webseite EB Group)

Anleger_innen in Immobilienfonds wie denen der Deutschen Investment sind typischerweise Institutionen wie z. B. Versicherungen, Pensionskassen und Banken, die strengeren Regelungen unterworfen sind als andere Anleger_innen. Sie investieren daher in Bereichen mit niedrigerem Risiko. Im Immobilienbereich sind das sogenannte Core- und Core-Plus Objekte: hochwertige Bestands- oder Neubauimmobilien in guten bis sehr guten Lagen und mit sicheren aber nicht allzu hohen Renditeerwartungen.

Was hat das alles nun mit unserem netten, etwas schmuddeligen Straßenzug zu tun? Ein kurzer Ausflug zurück in das Jahr 1988, also in die Zeit vor dem Mauerfall, lohnt sich hier. Damals beschloss der Berliner Senat das Ende der Mietpreisbindung, also der staatlich gedeckelten Niedrigmiete. Dies betraf vor allem Altbauwohnungen, deren Durchschnittsmiete damals 3,81 DM/qm betrug. [2] Unser Block war also mit einem unterdurchschnittlichen Mietpreisniveau ausgestattet und war zugleich durch das Sanierungsprogramm mithilfe staatlicher Fördergelder bereits in einen durchaus akzeptablen Zustand gebracht worden. Kurz gesagt: gute Bausubstanz und ordentlicher Aufholbedarf bei der Steigerung der Mietpreise. 1990 folgte dann das Bundesgesetz zur Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Dies erlaubte den kommunalen Wohnungsgesellschaften eine andere Preispolitik.

Trotzdem stiegen unter der GSW die Mieten zunächst nur langsam. Mit deren Privatisierung 2004, sowie der internationalen Finanzkrise ab 2007/2008 wurden jedoch zwei entscheidende Weichen gelegt, um zunächst die Besitzverhältnisse durcheinander zu wirbeln und dann im zweiten Schritt die Mietpreise kräftig anzuheben. Die steigende Wirtschaftskraft und der immer größere Zuzug nach Berlin taten schließlich ihr Übriges, um die Mietpreise auf dem Wohnungsmarkt hochzutreiben. Bei den oben genannten wiederholten Weiterverkäufen können wir also davon ausgehen, dass die Ankaufspreise für das Häuserpaket mehrfach stark gestiegen sind. (Die Immobilienplattform Immobilienscout24 bietet auf ihrer Homepage eine Immobiliendatenanalyse an. Gibt man dort die Adresse Oranienstraße 200 ein, wird einem mitgeteilt, dass die Kaufpreise in diesem Quartier allein seit 2015 um 63 % gestiegen sind! Heute liegen sie bei durchschnittlich 4.170 €/qm.) Die zwischenzeitlichen Besitzer_innen des Häuserblocks – sicherlich keine Unschuldskinder was ihre Gewinnbestrebungen anbelangt – haben jedoch die Wohnungs- und Gewerbemieten kaum angetastet. Dies bedeutet also, dass sie ausreichend Gewinne allein durch die Wertsteigerung und den Weiterverkauf der Häuser erzielen konnten.

Zieht man diese Fakten in Betracht, sind die tatsächlichen aktuellen Eigentümer_innen hinter dem Immobilienspezialfond, also die institutionellen Anleger_innen, vermutlich die ‚Doofen‘, die am Ende der Verwertungskette stehen. Sie haben 2017 mit Sicherheit bereits ganz schön teuer eingekauft. Um trotzdem eine ordentliche Rendite, sowie ihre eigenen erklecklichen Gehälter und Prämien zu erwirtschaften, bleibt den Managern, hier also der EB Group, daher wenig anderes übrig, als Mehrwert aus den Mieter_innen herauszupressen. Es verhält sich hier ganz ähnlich wie in einer kapitalistischen Fabrik: Sinkt die Profitrate aufgrund externer Faktoren, kann die Kapitalist_in nicht anders, als die Löhne ihrer Arbeiter_innen zu senken und so Surplus aus ihrer Arbeitskraft zu gewinnen.

Und so erklärt sich das überhaupt nicht überraschende Verhalten des neuen Eigentümers kurz nach der Übernahme der Häuser in der Oranienstraße: Gewerbemieter_innen wurden mit Mietsteigerungen bis zu 200 % konfrontiert. Das Lederwaren-Geschäft Tschul gab seinen Laden in der O199 in diesem Jahr auf, mehrere Monate später ist die Ladenfläche noch immer unvermietet. Der Kinderladen Bande konnte durch eine erfolgreiche öffentliche Kampagne Ende 2017 seine Miete dauerhaft sichern, doch dies bleibt eine der wenigen Ausnahmen. Nebenan musste etwa der kleine Sushi-Laden Hakata im gleichen Jahr schließen, nachdem sich seine Miete vervierfacht hatte. An dessen Stelle eröffnete in diesem Sommer das indische Fusion-Food Restaurant Moksa. Es könne eine viel höhere Miete aufbringen, da es ein ganz anderes Business-Modell verfolge, so sein optimistischer Betreiber.

Vor diesem Hintergrund der sich überschlagenden Mieterhöhungen und des Renditedrucks macht sich automatisch moralische Empörung breit. Doch hat es wenig Sinn, den Immobilienmarkt mit ethischen Argumenten zu kritisieren, da sich hier die ganz ‚normalen‘ vorprogrammierten Funktionsweisen des herrschenden Wirtschaftssystems abbilden. Aus der Perspektive der Nachbarschaft, der langjährigen Mieter_innen und der lokalen Gewerbe handelt es sich dagegen um eine Enteignung des Gemeinwesens. Doch diese Enteignung hat nicht erst 2017 stattgefunden, sondern bereits 1988, 1990, 2004, und in vielen weiteren Momenten, in denen wir nicht so ganz genau aufgepasst haben, welches neue Gesetzt jetzt gerade wieder verabschiedet wurde. Die Konsequenzen zeigen sich erst jetzt, viele Jahre später, für unsere und auch für die kommenden Generationen.

[1] Teil des ‚Portfolios‘ der Citec Immobilien Gruppe war u. a. auch die Friedel 54, die von Citec saniert und an eine Luxemburger Briefkastenfirma verkauft wurde. 2018 erfolgte die gewaltsame Räumung des Kiezladens.
[2] https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0308/das-ende-der-..., abgerufen am 20.11.2019

Der Text ist erstmals erschienen in "Eigentum & Alltag. Zeitung zu Nachbarschaft, Gewerbe und Kunst", die im Rahmen des nGbK-Rechercheprojekt Im Dissens im Herbst 2019 entstanden ist. Sie kann hier nachgelesen werden.
 
Mi, 01/08/2020 - 15:33
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