Aus der Zeit gefallene Orte I: Das Columbus-Center

Aus der Zeit gefallene Orte I: Das Columbus-Center

Text: Anna-Lena Wenzel

Das Columbus-Center wurde in den 70er Jahren geplant und errichtet. Es ist ein wuchtiger Gebäudekomplex, der ein Einkaufscenter, Gewerbeeinheiten, soziale Einrichtungen (wie ein Bürgerbüro, eine Stadtbibliothek, ein Jugendzentrum, eine Kita) und Wohnungen enthält. Schon allein aufgrund seiner schieren Größe und den drei hochaufragenden Wohnbauriegeln prägt es das Stadtbild. Vor allem aber bestimmt es den Zugang von der Stadt zum Hafen. Das Gebäude entspricht mit seiner Nutzungsmischung einem modernistischen Ideal der 70er Jahre, mit ihm wurden große Hoffnungen verbunden. Im Ausschreibungstext hieß es: „Das Columbus-Center soll für die Bremerhavener Bürger das Zentrum einer lebendige Begegnung werden, das die Menschen auch aus dem Umland anzieht.“ Wenn man das Gebäude heute betritt, erwartet einen eine Mischung aus Großtuerei und Kleinteiligkeit. Vieles wirkt bemüht, man sieht immer wieder Leerstand und an vielen Stellen wirkt die Einrichtung und die Raumaufteilung wie aus der Zeit gefallen. Augenscheinlich sind auch die vielen Überarbeitungen des Baus in der Auswahl der gewählten Oberflächenmaterialien. Es gibt Punkte, an denen drei unterschiedliche Bodenfliesen oder vier verschiedene Lüftungsverkleidungen aufeinandertreffen.

 

Die Künstlerin Birte Endrejat hat sich im Rahmen ihrer Einzelausstellung im Bremerhavener Kunstverein eingehender mit diesem Gebäude beschäftigt. Bei ihren Streifzügen hat sie folgendes beobachtet:

„Abgeblätterter Lack an einer Verkleidung unterhalb der Dachfenster.“

„Dünen- und Strandlandschaft mit Meer und Wolken als Fotoklebefolie auf einer dreiteiligen Scheibe.“

„Plastikpflanze in dunkelbraunem Holzkübel mit quadratischem Bodenmaß.“

„Lampen, die aus der schrägen Decke herausragen und wie die Enden eines Rohrsystems aussehen.“

 

Sie hat sich gefragt: Was ist aus den einstigen Versprechen geworden? Warum ist es weder lebendig noch ein attraktiver Aufenthaltsort? Dafür hat sie ihre Beobachtungen auf das Verhalten der Leute in den öffentlichen Bereichen ausgeweitet: Was passiert hier? Was tun Leute, die sich in dem Gebäude aufhalten?

 

Ihre widersprüchlichen Eindrücke haben sie bewogen sich näher mit der Geschichte des Centers zu beschäftigten und zu seiner Entstehungsgeschichte zu recherchieren: Wie lautete der damalige Ausschreibungstext? Was für Entwürfe wurden eingereicht? Wie wurde der Siegerentwurf umgesetzt?

 

Sie fand heraus, dass in dem Sinne keinen Siegerentwurf gab, da es sich um einen Ideen- und keinen Bauwettbewerb handelte. Trotzdem wurden drei Entwürfe prämiert und insgesamt mindestens fünf angekauft. Das bedeutet, es wurden Ideen gesammelt und dann eine Kompromisslösung aus mehreren erzeugt. Ein wichtiger Aspekt waren die Wegeleitsysteme, d.h. die Frage, wie man den räumlichen Zugang, den Weg in die Kaufhäuser, gestaltet.

 

Dass dabei einige fragwürdige Entscheidungen getroffen wurden, zeigt sich u.a. an der Zone 3, dem Bauabschnitt, der das Gebäude mit dem Hafen verbinden sollte. Die Ideen sahen vor, dass die Straße überwunden wird bzw. eine Form der Überbauung geschaffen wird. Was realisiert wurde, blieb jedoch unvollständig. Zwar stellt das Gebäude einen Übergang dar, doch hört dieser abrupt auf, da der letzte Bauabschnitt fehlt. (Interessanterweise liegen aktuell Pläne vor, die Columbusstraße zurückzubauen und den einfacheren Zugang zum Wasser mit einer Flaniermeile, Bäumen etc. endlich zu realisieren.)

 

Manche Dinge sind aber auch dem Lauf der Zeit zum Opfer gefallen: die Grünpflanzen, die zu Beginn aufgehängt wurden, verschwanden nach Umbauten ebenso wie das Schwimmbad geschlossen wurde. Einige Gewerbeflächen, die für Arztpraxen vorgesehen waren, entsprechen nicht mehr den aktuellen Ansprüchen und stehen deshalb leer. Allein die Wohnungen erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit, denn von ihnen hat man einen 1a Hafenblick, wie die Fotos, die die Künstlerin in der Ausstellung zeigt, belegen: Es sind Fotos von Bewohner*innen, die dem Aufruf der Künstlerin gefolgt sind, ihr Bilder zu schicken, die sie aus ihren Wohnungen heraus aufgenommen haben. Birte Endrejat hat damit versucht die Ausstellung zu dem zu machen, was damals Teil der Planungen war: eine Aktivitätszone. Die Ausstellung mit dem gleichnamigen Titel ist bis zum 22.10.2017 im Kunstverein Bremerhaven zu sehen.

 

Fotografien: Ausstellungsansichten von Birte Endrejat und Aufnamen des Columbus-Center von Anna-Lena Wenzel

 

 

Di, 10/10/2017 - 14:25
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