Fremdgehen

Fremdgehen

Fotos: Andrea Keiz, Text: Anna-Lena Wenzel
Die Performance Fremdgehen beginnt auf dem Askanischen Platz und besteht aus einem Rundgang durch den umgebenden Kiez. Man wird von eine*r Performer*in abgeholt, um dann für circa eine Stunde durch den angrenzenden öffentlichen Raum zu laufen. Pro Runde gibt es nur vier Plätze, das heißt nur vier Personen können bei der Performance dabei sei, weil man dabei in ganz enger Interaktion mit dem*r Performer*in steht.

Zusammen gehen wir um die Ecke, betreten einen Hofeingang, fassen die dortigen Pflanzen an, bleiben einen Moment stehen, um einfach nur zu hören und zu beobachten. Zwischen Potsdamer Platz und Askanischem Platz befindet sich eine interessante Mischung aus Sozialwohnungen aus den 1970er Jahren, vielen Gebäuden, die zur IBA 1986/87 entweder saniert oder neu gebaut wurden, und Neubauten aus den 1990er Jahren. Ministerien befinden sich hier neben Wohnbauten und Malls.

Für die meisten ist es ein merkwürdiger Durchgangsort. Auf völlig unspektakuläre und alltägliche Weise treffen die verschiedensten Nachbarschaften aufeinander. Viele Mechanismen der Stadt Berlin liegen offen zu Tage, können gespürt und gesehen, hinterfragt oder berührt werden. Unter anderem haben hier Bauprojekte und entschiedenen Sozialraummaßnahmen der Internationalen Bauausstellung 1986/ 87 (IBA) Lebensumfelder geschaffen, die eine vielschichtige, offene und autonome Stadt ermöglichen, ganz im Kontrast zu heutigen Tendenzen, Repräsentationswelten zu bauen.

Die Performerin bringt mich dazu, meine Bewegungen in der Stadt zu verändern. Hier werde ich herausgeholt aus meinen täglichen Routinen, aus der funktionalen Durchquerung der Stadt wenn ich von A nach B will, betrete unbekannte Hinterhöfe. Ich werde aufgefordert stehen zu bleiben und zu warten – Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen, genauer hinzuschauen, auf die Geräusche zu achten und beispielsweise einen Vogel zu entdecken, der oben an der Häuserfassade sitzt. Im nächsten Moment soll ich die Augen schließen und mich führen lassen. Plötzlich verlangsamt sich alles, kommen einem die Distanzen viel weiter vor. Im nächsten Moment rennen wir ein Stück, weil die Zeit schon fast um ist. Neben der gesteigerten Aufmerksamkeit für die Umgebung geht es auch darum, der Performerin zu vertrauen, sich im wahrsten Sinne in ihre Hände zu begeben, denn das meiste geschieht non-verbal.

Die Choreografin Sabine Zahn ist daran interessiert, Performance aus dem geschlossenen und relativ sicheren institutionellen Raum herauszuholen, auf die Straße zu bringen, wo sie für alle sichtbar ist. Es geht um die Konfrontation und Interaktion mit dem Stadtraum, darum, die Sinne zu sensibilisieren für die Umgebung – die Architekturen, die Gerüche, Geräusche und die Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten oder ihn durchqueren. Wo hört der öffentliche Raum auf und beginnt ein privater zu werden, ist eine der Fragen, die ich mir im Anschluss stelle. Ist der unterirdische S-Bahn-Bahnhof noch öffentlich, wenn man ein Ticket braucht, um ihn zu betreten? Warum hat man Hemmungen, den neu errichteten Wohnblock zu betreten, wenn dieser öffentlich zugänglich ist? Der Schritt aus den Institutionen heraus bringt mit dem Stadtraum einen neuen Protagonisten ins Spiel, der allerdings keiner Anweisung folgt und den Zufall in den Prozess integriert. Was für eine Bereicherung und ein Luxus, diese intensive Erfahrung machen zu dürfen!
Mi, 07/03/2019 - 10:29
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