Denkmäler, wie überall

Denkmäler, wie überall

Text und Fotos: Adnan Softić

„Skopje 2014“

 

Die mazedonische Hauptstadt Skopje wird derzeit „grunderneuert“, wobei man von Erneuerung eigentlich nicht sprechen kann: Bis 2014 werden über 20 Regierungsgebäude und Museen sowie unzählige Monumente in klassischer Anmutung errichtet, um Mazedoniens Anspruch auf die antike europäische Geschichte buchstäblich zu untermauern. Dieser Text und die Bildstrecke sind während der Vorbereitungsarbeiten zu einem Filmprojekt über die Konstruktion von Geschichte entstanden.

 

1. In letztem Sommer machte ich eine umfangreiche Recherchearbeit für meinen neuen Film, der die Konstruktion (Fabrikation) von Geschichte und die Änderung ihrer Ursprünge und Schlüsselerlebnisse behandelt. Durch Eingriffe in die frühere Geschichte können sich massive Veränderungen für die Gegenwart ergeben. Staaten oder Nationen, die über ein wichtiges historisches Ereignis verfügen, können daraus in der Gegenwart Profit schlagen.

 

Und wenn diese Verbindungen dazu noch sehr alt sein sollte und bis in die Antike reicht, dann könnte so ein Staat damit einen besonderen internationalen Stellenwert erhalten und unter Umständen mit Schutz rechnen, wenn er sich existenziell oder finanziell vor dem Abgrund befinden sollte. In meinem Film wollte ich nachzeichnen, wie diese Verbindungen zustande kommen und wie man zu einem Repräsentanten der Vergangenheit wird.

 

2. In der mazedonischen Hauptstadt Skopje existiert derzeit eine äußerst spannende Ausgrabungsstätte, an der sich diese Prozesse nachzeichnen lassen. Ich meine das Wort Ausgrabung allerdings eher metaphorisch, denn es werden hauptsächlich Erinnerungen ausgegraben um dann in Stein gemeißelt zu werden. Auf der Basis dieser „neuen“ Erinnerungen entsteht ein nagelneues antikes Zentrum, mitten in der Hauptstadt. 

 

„Skopje 2014” ist ein monumentaler Bauplan der mazedonischen Regierung, der die Stadt zu einem weiteren Zentrum der antiken Hochkultur etablieren soll. Bis 2014 sollen mit ca. 500 Millionen Euro etwa 20 repräsentative Bauwerke sowie unzählige Monumente entstehen.

 

Einige dieser Monumente sind Fontänen, die synchron mit Musik bespielt werden. Mazedonische Ethnomusik, Wagner, Verdi und andere Größen unterstreichen die Gesten der nationalen Romantik, die auch in der Architektur integriert sind. Es sind uns Europäern sehr vertraute Gesten: Macht, Zärtlichkeit, Fürsorge, Kraft, Wissen, Sport, Spiritualität und Natur stellen ein gigantisches Ensemble zusammen. Eine Einheit, mit der sich die Dimensionen und die Bedeutung der Nation zu erkennen gibt. Das olympische Feuer brennt jetzt  auch in Skopje. 

 

3. Als ich zum ersten mal in Skopje war, durfte ich das allumfassende Ausmaß dieses Eingriffs in die Stadt und den Staat für eine Weile ganz direkt erleben. Ich hatte dies bereits von meinem Hamburger Schreibtisch aus verfolgt und erwartet, war aber überrascht über die tatsächliche Tragweite und Auswirkung. „Skopje 2014“ dringt sozusagen in fast jede Zelle des Lebens ein.

 

Die Besonderheit bei diesem architektonischen Großprojekt liegt darin, dass es sich um ein staatlich geleitetes Projekt handelt und dass es auch von allen als solches wahrgenommen wird. Als Folge dieser allgemeinen Politisierung herrscht eine große Befangenheit in der Bevölkerung, die auch den Alltag beeinflusst. Es geht nicht nur um ein Bauprojekt, sondern die Entstehung eines neuen „mentalen” Ortes

 

Es ist so, dass mit der Implantation einer neuen antiken Historie, auf eine Art, auch eine ganz neue Nation zu sein beginnt.

Aufgrund der historischen Verbindungen von Mazedonien mit der Antike versucht Griechenland überall dort, wo es über eine Vetostimme verfügt, Mazedoniens Integrationsbemühungen in die Weltgemeinschaft wie der EU oder der NATO zu unterbinden. Diese aggressive und verkrampfte Haltung Griechenlands, mit der ein exklusiver Anspruch auf die Geschichte offengelegt wird, hatte mich hellhörig gemacht.

 

Sind das jetzige Griechenland und die heute lebenden Griechen die authentischen Nachfahren der Antike? Wie ist es möglich eine historische Kontinuität von mehreren Jahrtausenden zu behaupten bei einer Sache, die gerade mal zwei Jahrhunderte alt ist? Was wird in unseren Erinnerungen ersetzt, damit solch eine Widersinnigkeit glaubwürdig oder sogar zu einer Selbstverständlichkeit wird? Eben: was ist gemeint, wenn wir „Nation“ sagen?

 

4. „Skopje 2014” ist ganz offensichtlich eine Kopie bzw. ein Abklatsch der europäischen Geschichte, doch scheinbar hindert diese Offensichtlichkeit die Touristen und Einwohner nicht daran, sich trotzdem an dieser Architektur zu begeistern[1]. Oder ist das überhaupt wichtig - diese Sache mit dem Original?

Vasil, eine Figur aus meinem Film sagt:

 

„Wo ist der Unterschied zwischen Skopje und Venedig? Venedig ist voll von authentischen Bauten, die nachweislich einst so prachtvoll gebaut wurden. Aber diese Häuser besitzen heute einen anderen Alltag. Diese Kulissenstadt, in der es fast nur noch ausgehöhlte Blendwerke gibt, die in ihrer Funktionalität dem Tourismus und der Industrie dienen müssen. An extended shopping mall. Eine Ausdehnung des Spektakels, wo auch die Echtheit nur ein Fake ist... Und das ist die große Ungerechtigkeit. Skopje ist ganz anders, es ist wirklicher als Venedig. Die Stadt, die zwar eine Imitation ist, dafür aber kein Blendwerk. Vielmehr, die historischen Imitate in Skopje sind staatstragend. Das heißt, sie werden so benutzt, wie sie einst benutzt worden sind. Das ist echt.

 

Die Bürger von Skopje schlendern ruhig, sie fotografieren sich gern, bleiben hier und da bei einer Statue stehen, zeigen auf etwas und unterhalten sich. Manche lehnen sich an den Zaun an und schauen von der Brücke auf den Fluss Vardar. Von dort aus sieht man barocke Häuser an denen sich weitere unzählige Statuen befinden. Ihre Kinder laufen glücklich und frei umher. Und immer wieder Fotos, Fotos, Fotos. Manche Leute wählen sich Figuren, mit denen sie porträtiert werden möchten. Das ganze Areal ist eine autofreie Zone. Ein Ort, sehr gut geeignet für einen Feierabendspaziergang. Er ist sehr aufwendig beleuchtet. Ein Ort, an dem man abschalten und die tagtäglichen Sorgen (für kurz) vergessen kann. Ein Ort, mit dem man etwas Angenehmes und Natürliches verbindet.

Der Geschichtsunterricht läuft beiläufig und er läuft gerade deswegen tiefgründig. Wer wird einen Mazedonier in 15 Jahren davon überzeugen können, dass all diese Helden nicht ihre eigenen Vorfahren sind?

 

5. Wie drückt sich ein nationales Geschichtsverständnis aus? Was sagt uns „Skopje 2014“ über den allgemeinen Umgang mit der eigenen Geschichte? Die Nationalstaaten in Europa haben sich scheinbar auf eine Art der Geschichtspflege geeinigt. Doch um die geradlinige Vorstellung vom Verlauf der Geschichte umzusetzen, musste man zum großen Teil gewalttätig werden, um am Schluss eine Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder mit der Nation erreichen zu können. In einem Fall waren das Vertreibungen von Minderheiten, in dem anderen mussten die „kleinen“ Sprachen der „einen großen“ Sprache weichen. In vielen Ländern wird heute, nach wie vor, gemahnt, dass „Multikulti“ eine Totgeburt sei und Fremdeinflüsse nirgendwo hinführen. Im selben Augenblick wird die Vielfalt in Europa mehr denn je als ein hohes Gut eingestuft.

 

Mazedonien wird in seiner Existenz gestört und bedroht. Bulgaren erkennen ihre Nation und Sprache nicht an, Griechen den Namen, Albaner Territorium und Serben die Kirche. Bei Mazedonien haben wir es mit einem multikulturellen Staat zu tun, mit einer äußerst komplexen Geschichte.

Doch wird dies offensichtlich von den Nachbarn nicht akzeptiert, was wiederum zu einer gestörten Selbstwahrnehmung führt. Das Land scheint sich selbst irgendwie unvollständig zu sein. Ein Phänomen, das wir in Europa auch in Bosnien und Herzegowina und auf eine Art auch in Belgien und Spanien wiederfinden können. Ich frage mich, mit welchen Symbolen könnte eine komplexe Gesellschaft arbeiten, um der homogenen Entwicklung etwas entgegensetzen zu können.

 

Warum gibt es keine Möglichkeit Denkmäler und Mythen zu errichten, die eine komplexe und widersprüchliche Welt zulassen und lobpreisen? Warum kann an jenen Schnittstellen, wo Verschiedenes sich seit Jahrhunderten kreuzt, nicht ein neuer Diskurs entstehen?

Um sich zu retten, entschied sich Mazedonien den ungeschriebenen Vorgaben und Normen zu folgen, wie man in Europa als Staat zu sein hat. Und es schreibt jetzt fleißig an seiner neuen Geschichtserzählung. Wenn diese Geschichte fertig geschrieben ist, wird man sehen können, wer von den jetzigen Bewohnern des Landes offiziell noch dazu gehören kann.

Mi, 03/19/2014 - 10:49
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