A Cape Town Tale

Schwerpunkt: Fassaden

A Cape Town Tale

Bröckelnde Fassaden, versteckte Geschichten
Von Cornelia Knoll

 

An einem Abend vor einigen Monaten passierte es. Auf dem Nachhauseweg sah ich schon aus der Ferne das rot-weiße Absperrband der Polizei und die eingestürzte Fassade von Mr. Parkers Laden, meiner täglichen Anlaufstelle für kleine Besorgungen in der Nachbarschaft. Das Dach war eingefallen, die Stützpfeiler des Vordachs lagen zerbrochen auf dem Gehweg, die Betonreste und der alte Mörtel der Außenmauer abgebröckelt und zerschlagen. Der Regen peitschte an die Autoscheibe und mein erster Gedanke galt der Gruppe Obdachloser, die an Regentagen unter dem Dach des Ladens Schutz und Obhut findet. Nach dem ersten Schock dann Erleichterung: Ich hörte, dass ein Auto in das Haus gefahren, aber niemand verletzt worden war.

 

Roodebloem Road, die Straße, an der Mr. Parkers Laden ansässig ist, führt hinauf auf den De Vaal Drive, die Umgehungsstraße der Stadt. Eine beliebte Rennstrecke, besonders nachts. Der Fahrer war längst wieder zuhause, unverletzt, hatte Glück im Unglück.

Der Besitzer, Mr. Parker, nahm den Vorfall gelassen und hoffte auf schnelle Auszahlung der Versicherungssumme, um seine Fassade zu erneuern und dem Gebäude einen neuen Anstrich zu geben. Der von mir gemachte Schnappschuss zeigt den blass hervor­­- scheinenden alten Anstrich des Ladens – die typische kunstvoll handbemalte Beschriftung des späten 19. Jahrhunderts. Weil Mr. Parkers Laden eine Institution in diesem Viertel ist, sprach sich dieser Vorfall schnell über Social Media-Foren herum, die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Sehr überraschend war die eines Mitarbeiters der Denkmalschutz-Vereinigung. Dem verblichenen Schriftzug und der alten Farbe auf der Außenmauer wurde plötzlich Bedeutung beigemessen. Mr. Parkers Shop schien einen neuen Wert zu bekommen, etwas vormals so Normales und eher Alltägliches wurde nun als erhaltenswürdig und wertvoll angesehen.

 

Woodstock und die Stadt am Kap

 

Das Viertel Woodstock zieht sich vom Atlantischen Ozean bis hinauf zum Tafelberg, der als Wahrzeichen Kapstadts erhaben über allem thront und das Gebiet natürlich abgrenzt. Zwischen der Innenstadt und der Universität erstreckt sich dieses vormalige Arbeiter- und Fischerviertel, in dem sich heute mehr und mehr internationale StudentInnen, PraktikantInnen, KünstlerInnen und UrlauberInnen tummeln. Sie sind hier, um das Flair vom ‚echten’ Kapstadt zu erleben. Das Schlagwort Gentrifizierung scheint in großen Lettern über dem Viertel zu schweben und frisst sich langsam, aber sicher bis in alle Ecken des Viertels. In ehemaligen Werkstätten findet man heute fair gehandelten Filterkaffee und New-York-Käsekuchen zu hohen Preisen, alteingesessene sogenannte Cornershops und traditionsreiche Restaurants mussten den Galerien und einer schicken Einkaufspassage (Burgerjoint, Design Möbel und Rennrad-Läden etc.) weichen.

 

Einen Eindruck davon bekommt man auf der Internetseite des ‚Woodstock Exchange’.[i] In Kapstadt, wie in ganz Südafrika, ist die Vergangenheit des Apartheidregimes und dessen rassistische Ideologie noch allgegenwärtig. Die große Hoffnung, die nach der Wahl Mandelas 1994 in der Luft lag, ist heute fast verflogen. Der starke Kontrast zwischen Arm und Reich ist für die Bevölkerung trauriger Alltag. Die Zerstörung des Viertels District Six[ii] durch das Regime ließ keine Überreste dieses ehemaligen religiös sowie kulturell vielfältigen Viertels übrig. In Teilen von Woodstock aber ist viel von der Ästhetik und Atmosphäre dieses zerstörten Quartiers noch präsent und spürbar.

 

Herausforderungen – wird alles besser?

 

Ein gefährliches Pflaster war diese Gegend hier schon immer, das darf nicht ignoriert werden. Wo Armut herrscht, scheint Kriminalität oft der einzige Ausweg, Drogen helfen, diesen schweren Alltag zu überstehen. Die angeblich gefährlichste Straße des Landes, Gympie Street, liegt in Woodstock. Noch vor wenigen Jahren rümpften die meisten die Nase wenn von diesem Viertel die Rede war. Außer einigen KünstlerInnen und Studierenden wollte niemand diese Gegend ohne coole Cafés und Infrastruktur erobern.

Dies änderte sich schnell. Woodstock ist Teil eines Stadtentwicklungsplanes, der das Viertel aufwerten und marktfähig machen soll. Künstler, Galerien, exklusive Restaurants und Cafés waren die Vorboten dieses Aufwertungsprozesses und mit ihnen kamen die Touristen und zahlungsfähige Kunden auf der Suche nach ‚edginess‘. Alteingesessene kämpfen wegen der hohen Mietpreise um ihre Existenz, auch günstige Restaurants sind kaum noch zu finden.

 

Was bleibt, wenn sich alles verändert?

 

Die Fassaden von Woodstock erzählen viele Geschichten. Der zentralafrikanische Barber-Shop, die Pfingstkirchen und Moscheen, die „Altona-Fischläden“, die Street Art und die typischen sogenannten „Corner-Shops“, die langsam aber sicher den Spekulanten zum Opfer fallen. Viele von ihnen sind seit mehr als einem Jahrhundert im Besitz derselben Familie und eine Art Treffpunkt für den täglichen kurzen Austausch mit den Nachbarn. ‚Parker’ ist so eine Institution. Herr Parker führt seit Generationen den bekannten Corner-Shop, in dem fast jeder Bewohner des Viertels schon sein Gingerbeer (ja, Ingwerbier, da Alkohol laut Gesetz nur in speziellen Liquor Stores verkauft wird), oder Zigaretten gekauft und am Wochenende die leckere lokale Spezialität der Koeksisters oder Samosas probiert (süße Küchlein und deftige Pasteten) hat. Wie überall in den Metropolen, ob in Berlin, New York oder wie hier in Kapstadt, stellt sich die Frage, was bleibt, wenn sich Stadtteile rasant verändern. Wie lassen sich soziale Ungleichheiten mindern, statt die Spaltungen zu vertiefen?

 

Mr. Parker ließ mich darüber nachdenken und viele Bewohner des Viertels wurden wachgerüttelt, denn die nach dem Unfall folgende Diskussion über die Wiederherstellung der alten Fassade steht exemplarisch für die Entwicklung des Stadtteils. Daran bin natürlich auch ich beteiligt. Mehr und mehr wird deutsch in den Vorgärten gesprochen und viele Menschen überlegen, ihr Haus an Neuankömmlinge, die jungen Kreativen, zu verkaufen, um sich finanziell besser zu stellen. Mein kleiner Versuch, gegen die zunehmende Kluft zwischen den Bewohnern anzugehen, ist zum Beispiel der Kontakt zu meinen Nachbarn, die alltäglichen kleinen Gesten und Gespräche. Sie lassen mich ein wenig hinter die Fassaden schauen, eröffnen kurze Einblicke in die Geschichte des Viertels und den Teil des Lebens, der sonst unsichtbar bleibt.

 

Ein Teil davon und doch dagegen

 

Die Veränderungen im Viertel lassen sich am besten an den Hausfassaden nachvollziehen: entweder sie strahlen vor Optimismus oder sie erzählen in ihrer Nacktheit und Rohheit von der wechselvollen Geschichte des Viertels. Sie sind entweder schöner Schein oder blanke Wahrheit.

Wer genauer hinsieht, kann die wachsende Spaltung hinter den neuen Fassaden erkennen. Langsam entsteht eine Gegenbewegung: AktivistenInnen und KünstlerInnen setzen sich für ein gemeinsam gestaltetes Viertel ein. Eine Nachbarschaft, die nicht ausgrenzt, sondern sich offen begegnet. Das Kollektiv Burning Museum[iii] und Tokolos Stencils[iv] sind ein Beispiel dafür. In ihrer Kunst bringen sie Leben auf die Wände der Stadt und lassen die Vergangenheit zurückkehren. Diese Interventionen regen zum Nachdenken an in einem Land, das die Wunden der Vergangenheit mit dem schnellen Wandel zum Neoliberalismus zu vergessen versucht. Die AktivistInnen dieses Kollektivs sind augenscheinlich von der ‚Masse’ nicht zu unterscheiden, jung, kreativ, leben sie in ihrer Stadt. Doch was sie wollen, ist Chancengleichheit für alle und, wie Mr. Parker, die Wahl zwischen einem neuen Anstrich – der Veränderung – und dem Recht, alte Strukturen zu erhalten.

 

 

 

Cornelia Knoll,

Diplom-Soziologin aus Hamburg, lebt seit 2009 überwiegend in Kapstadt. Ihr Ziel ist es, KünstlerInnen, Kulturschaffende und Forscher in Deutschland und Südafrika enger zu vernetzen. Sie setzt sich mit den Themen Erinnerungsarbeit, Migration, Menschenrechtsbildung und Kunst im öffentlichen Raum auseinander.

Kontakt: Nelie.Knoll [at] gmail.com


Kurzbeiträge

Einwürfe

Spaces of Solidarity Der Kiosk of Solidarity macht Station in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum
Parasite Parking Logbuch einer öffentlichen Intervention von Alexander Sacharow und Jakob Wirth

Fundsachen

found footage-sculptures Patrick Borchers unterwegs in Neapels Straßen
Dickpic-Galerie Die Journalistin Anne Waak postet a

Straßenszenen

Asphaltrisse Risse in Berliner Straßen fotografiert von Heide Pawlzik.
Neun falsche Hennen Die Welcomecitygroup feiert Junggesellinenabschied auf der Reeperbahn in Hamburg
Städtische Arrangemens in Comănești

Die Fotos und der Text stammen au

So klingt

Istanbul II Im November 2022 verbringt Zora Kreuzer

So lebt

es sich 20 Tage im Grenzturm Im Herbst 2019 hatten Kirstin Burckhardt
man im Olympiapark 1953 begonnen Timofej Wassiljewitsch Pro
der Vogel in der Stadt Vögeln-Nistkästen-Modelle für eine bessere Kohabitation